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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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regnerischen Nacht. Heute konnte er die Schilder lesen und wusste, dass er auf der Old Creamery Road bleiben musste. Damals hatten sie nicht gewusst, wohin sie sich wenden sollten. Es war eine Zufallsentscheidung gewesen, geradeaus weiterzugehen. Welche Beweise brauchst du noch, um zu wissen, dass es keine große Zeichnung gibt? Man geht geradeaus – ohne nachzudenken. Man hebt einen Mülltonnendeckel mit Wasser hoch – einfach so.
    Die Wälder flogen an den Wagenfenstern vorbei. Er fragte sich, ob er die Gegend wiedererkannt hätte.
    Natürlich hätte er sie wiedererkannt.
    Da war das weiße Haus, in dem sie beinahe Unterschlupf gesucht hätten. Das schöne Mädchen hatte jedoch den Kopf geschüttelt, also waren sie weitergegangen.
    Sie fuhren an anderen Häusern vorbei, an älteren, verwitterten. Vielleicht war die alte Lady entgegen aller Erwartungen doch noch hier. Vielleicht kannte sie die Antworten, nach denen er suchte.
    Da vorn kam die Kurve, dann waren sie gleich da. Der Weg zweigte an der Stelle ab, an der die Straße wieder gerade wurde. Die Kurve war zu Ende, und statt Bäumen sah Homan Häuser. Hunderte davon, die sich links den Abhang hinaufzogen und rechts bis zum Horizont reichten.
    Homan verminderte die Geschwindigkeit und starrte nach links. An den Hang erinnerte er sich – den war er mit dem schönen Mädchen hinaufgelaufen und später durch den Wald wieder hinunter.
    Die Einfahrt zur Siedlung wurde von zwei niedrigen Ziegelmauern flankiert, vor denen sorgfältig gestutzte Sträucher angepflanzt waren. Auf der rechten Seite standein Schild mit goldenen Lettern: »The Estates at Meadow Hills.«
    Homan bog in die Siedlung ein. Die Hauptstraße war breit, schmalere zweigten davon ab. Homan blieb am Rand stehen und stieg aus.
    Die Luft roch nach frisch gemähtem Gras, Mulch und benzinbetriebenen Laubbläsern. Ein paar Hausbesitzer mähten Rasen oder wuschen Autos in den Einfahrten, ansonsten sah er nur Häuser, und keines von ihnen ähnelte dem der alten Lady. Es hatte ganz oben auf diesem Hügel gestanden, und jetzt war es weg – genau wie das Büro, in dem ihm das schöne Mädchen ein Transistorradio in die Tasche gesteckt, sich an ihn geschmiegt und langsam mit ihm getanzt hatte.
    Niemand würde je erfahren, welche Freude und welchen Schmerz er hier erlebt hatte.
    Am liebsten wäre er noch lange geblieben, aber ihm wurde bald klar, dass er getan hatte, was er sich vorgenommen und was er sich nicht vorgenommen hatte. Und alle Bemühungen waren ins Leere gelaufen.
    Er stieg wieder ein und drehte sich so, dass ihn seine Freunde sehen konnten. Entschuldigt den Umweg. Jetzt bin ich bereit, weiterzufahren.
    Was ist dies für ein Ort? , wollte Jean wissen.
    Hier habe ich sie zum letzten Mal gesehen – sie und das Baby.
    Das war hier? , fragte Sam durch Jean.
    Genau hier.
    Wie kannst du so sicher sein?, hakte Sam nach.
    Ich weiß es.
    Ich dachte, ihr wart in einem Farmhaus.
    Das stand hier auf dem Hügel.
    Wir haben die Geschichte so oft gehört , gestikulierte Jean. Aber es ist etwas ganz anderes, selbst am Ort des Geschehens zu sein.
    Eigentlich ist das nicht der Ort des Geschehens , antwortete Homan. Das Farmhaus gibt es nicht mehr.
    Wenn du die Geschichte erzählst, erweckst du den Eindruck, als hätte das schöne Mädchen genau gewusst, wohin sie wollte.
    Nein, sie wusste es nicht. Sie hat einfach entschieden, dass dieser Ort sicher ist, und recht damit gehabt.
    Bis ihr geschnappt wurdet , ergänzte Sam.
    Trotzdem hatte sie recht. Die alte Lady hat uns freundlich aufgenommen und zuvorkommend behandelt. Wie viele andere hätten das getan?
    Aber weshalb hat sie gerade dieses Haus ausgesucht, was meinst du? , erkundigte sich Jean.
    Homan sah von einem Gesicht zum anderen, während die Ereignisse jener Nacht vor seinem geistigen Auge abliefen. Arm in Arm und fest aneinandergedrückt liefen sie durch den strömenden Regen um die Kurve und sahen den Briefkasten an der Einfahrt.
    Der Briefkasten.
    Mit dem Leuchtturmmann.
    Einem Leuchtturm, der fast aussah wie der in ihrer Zeichnung.
    Homan stieß die Wagentür auf und rannte zur Einfahrt der Siedlung.
    Da waren nur die gepflegten Pflanzen und die dekorativen Mäuerchen. Er schaute sich um. Vor jedem Haus stand ein Pfosten mit einem schlichten Briefkasten. Der Leuchtturm war weg – längst verschwunden. Aber die Erinnerung ist stärker als Staub.
    Er riss die Arme hoch, drehte sich, warf den Kopf in den Nacken und brach in Gelächter aus. Er wusste, was

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