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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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Mein Name ist Homan. Er schlug auf den Deckel der Tonne. Muh nuh O muh!
    Das gleißende Licht kam von hinten.
    Er wirbelte herum.
    Polizei! Er hatte nicht gemerkt, dass sie in der Nähe waren. Er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, seine Stimme zu erproben. Er kämpfte wie der Teufel, um zu entkommen. Aber sie packten ihn, legten ihm Handschellen an und brachten ihn ins Gefängnis, dann vor Gericht, wo ein Richter entschied, dass er ein Dieb und zu schwachsinnig sei, um etwas zu verstehen. Man sah ihn als Gefahr für andere an und schickte ihn hierher. Er erinnertesich, dass sie ihn hier, vor diesen Stufen aus dem Auto gezerrt hatten und er hinauf zur Uhr gestarrt und sich geschworen hatte: Eher friert die Hölle zu, als dass ich noch einmal meine Stimme benutze.
    Alle Fenster waren dunkel, auch das gleich links. Dort war früher das Büro, in dem die Sekretärin vom Boss – nein, von Luke Collins – gesessen hatte. Homan stieg die Außenstufen hinauf, um einen besseren Blick zu haben. An die Eichentür war ein kleines Schild geschraubt: GEBÄUDE GESCHLOSSEN. Er spähte über die Hecke durch das Fenster.
    Der Raum war kahl und leer. Hier arbeitete niemand mehr.
    Er drehte sich zum Van um. Seht ihr irgendwelche Schilder, die uns verbieten, auf dem Gelände herumzufahren ?
    Du willst dich umsehen?
    Nein, aber ich muss.
    Die Cottages waren alle noch da, und als Sam langsam vorbeifuhr, sah Homan an jeder Tür ein GESCHLOSSEN-Schild. Dort war das Cottage, in dem er Shortie und Wirbelnder Kreisel kennengelernt hatte. Der Speisesaal, wo er sich immer Zuckerwürfel in die Tasche gesteckt hatte. Die Wäscherei, in der er dem schönen Mädchen Federn geschenkt hatte.
    Und dort war der Weg, auf dem er oft den anderen tauben Mann gesehen hatte, einen Afro-Amerikaner, der Uniformen liebte und dessen Gesten Homan nicht verstanden hatte. Mittlerweile war Homan klar geworden, dass er als Kind einen Gebärden-Dialekt gelernt hatte, den der Vater der McClintocks in einer Schule für Gehörlose aufgeschnappt hatte – eine Abwandlung der amerikanischen Zeichensprache, mit der sich Farbige untereinander verständigten. Die Weißen kannten diesenDialekt nicht, und offenbar war er auch einigen Schwarzen fremd.
    Wie lange hatte Homan gebraucht, um all das in Erfahrung zu bringen! Hätte er damals doch nur über einen Bruchteil seines heutigen Wissens verfügt!
    Sieh dir die Felder an.
    Die Scheune sah jämmerlich aus; sie war von allen Seiten mit wildem Wein umwuchert, ein Baum wuchs aus dem Dach. Homan hatte die Zeichnung vom Leuchtturm in der Scheune versteckt und sie sich jeden Morgen angesehen und das blaue Meer bewundert, dessen schäumende Wellen gegen die Felsen rund um den Turm schlugen. Der Zugang zur Scheune war ihm verwehrt, aber was machte das schon? Wenn aus den Maisfeldern Blumenwiesen geworden waren und die Unterkünfte der Angestellten dem Erdboden gleichgemacht worden war, dann war die Zeichnung sicher längst zu Staub zerfallen.
    Ich verstehe das nicht , signalisierte er Jean, als sie sich dem verwilderten Friedhof näherten. Warum haben sie alles sich selbst überlassen?
    Vielleicht konnten sie niemanden finden, der das Land übernehmen und bewirtschaften will.
    Sie fuhren zurück zum Hauptgebäude, und Homan dachte: Wahrscheinlich möchte es niemand mit den Gespenstern der Vergangenheit aufnehmen.
    Sie wurden von einem Büro ins andere geschickt, bis sie die richtige Amtsperson gefunden hatten.
    »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht viel weiterhelfen«, sagte Mrs. Raja, nachdem sie mit ihrem Schreibtischstuhl in ihren Kreis gerollt war, damit Jean übersetzen konnte. »Ich weiß, dass alle, die hier gelebt haben, zu ihren Familien zurückgezogen sind oder in kleineren Einrichtungen untergebracht wurden. Einige davon sind in derNähe, andere weiter weg. Ich könnte Ihnen eine Liste der Agenturen geben.«
    Aber wir kennen ihren Namen nicht , gestikulierte Homan.
    »Ist sie keine Verwandte?«
    Er zögerte und dachte an ihren letzten Abend im Haus der alten Lady: das weiße Kleid, der imaginäre Ring, den er ihr an den Finger gesteckt hatte.
    Doch .
    »Aber Sie wissen nicht, wie sie heißt?«
    Er zog ein langes Gesicht. Nein .
    »Ich will ehrlich sein, Sir. Uns suchen hin und wieder Menschen wie Sie auf. Gewöhnlich haben sie erst spät erfahren, dass ein Verwandter in dieser Schule gelebt hat, oder sie haben beschlossen, nach einem Sohn oder einer Schwester zu suchen, die sie vor langer Zeit aus den Augen

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