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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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große Traurigkeit ein wenig lindern.
    Als sich Lynnie für das Treffen mit Hannah und all ihren Helfern anzog, traf sie eine Entscheidung. Sie wusste, dass sie damit alle überraschen würde, aber sie wollte es so. Genau genommen wollte sie es schon seit Langem.
    Sie öffnete den Schrank, nahm die Holzschatulle heraus und legte die Kette um.
    »Wie geht’s, Lynnie?«, erkundigte sich Carmen.
    Sie saßen alle im Konferenzraum: Carmen, Sharona, Antoine, Hannah und Lynnie. Alle trugen eines der Sweatshirts, die Hannah gerade verteilt hatte – jedes zierte ein Druck von Lynnies Zeichnungen.
    »Besser«, antwortete Lynnie.
    »Dann ist es nicht mehr so schlimm für dich, dass Doreen nicht mehr da ist?«
    Lynnie wusste, dass Carmen die Antwort kannte und sie nur zwingen wollte, sie auszusprechen. »Ja. Ich gewöhne mich langsam daran.«
    »Das ist eine gute Einstellung«, meinte Antoine mit einem breiten Lächeln im runden Gesicht. Er machte sich eine Notiz auf dem Zettel, den er vor sich liegen hatte. Er war Lynnies Sachbearbeiter, Carmen die Betreuerin in ihrer Wohngruppe, Sharona die Leiterin der Selbsthilfegruppe.
    »Hat dein Bowlingteam nicht gerade zum dritten Mal in Folge gewonnen?«, wollte Hannah wissen.
    »Ja.«
    »Ist das nicht großartig?«, fragte Carmen die anderen. Carmen stammte aus Puerto Rico, wo es Sandstrände und Palmen gab; Lynnie fand, dass ihre Stimme klang wie die Wellen des Ozeans.
    Nach ein bisschen Smal Talk begann der offizielle Teil der Sitzung. Doreen hatte diese Besprechungen gehasst, als sie wieder bei BridgeWays war, aber Lynnie hatte nichts dagegen, insbesondere da alles jedes Jahr gleich ablief: Sie saßen an einem Tisch, und Lynnie beantwortete die Fragen der Betreuer. Doreen hatte gesagt: »Normale Menschen müssen so was nicht mitmachen.« Lynnie gefielen diese Begegnungen ganz gut, weil sie jeden, den sie wollte, dazu einladen durfte. Hannah lebte zwar weit weg, aber sie kam immer und brachte etwas für die Teilnehmer mit: Schlüsselanhänger, Briefpapier oder Becher, die mit Lynnies Kunstwerken verziert waren. Wenn sie die Sachen verteilte, war es fast, als würden sie eine Party feiern. Warum sollte Lynnie nicht sagen, wie viel Geld sie jeden Monat von der Sozialhilfe bekam, wann sie beim Zahnarzt war und ob sie noch wusste, was sie bei einer Feuerwehrübung machen musste? »Es ist keine große Sache«, hatte sie Doreen beruhigt, trotzdem musste sie zugeben, dass sie sich bei diesen Besprechungen fühlte wie ein kleines Kind.
    Antoine war derjenige, der die Formulare ausfüllte, also stellte er die Fragen.
    »Arbeitest du noch im Büro von BridgeWays?«
    »Ja.«
    »Bist du gern dort?«
    »Ja.«
    »Möchtest du versuchen, ob du an einem anderen Arbeitsplatz zurechtkommst?«
    »Nein.«
    »Wohnst du noch in der Moreland Avenue 210?«
    »Ja.«
    »Gefällt es dir in der Wohngruppe?«
    »Patricia belegt den Fernseher mit Beschlag, und Lois lässt niemanden über den Teppich gehen, wenn er frisch gesaugt ist.«
    »Willst du woanders leben?«
    »Ja. Ich möchte ein Apartment ganz für mich haben.«
    »Wenn das Programm Geld dafür zur Verfügung hat, können wir darüber reden. Was machst du in deiner Freizeit?«
    Und so ging es weiter. Lynnie beantwortete wie immer alle Fragen, doch diesmal konnte sie das Ende kaum erwarten. Es dauerte eine Stunde, bis Antoine die letzte Frage stellte – eine Frage, die sie sich selbst am Morgen beantwortet hatte.
    »Hast du ein Ziel, das du dieses Jahr erreichen willst?«
    Lange Zeit hatte sie nur ein einziges Ziel gehabt. Aber nur Kate wusste von Buddy und Julia, und sie konnte nichts tun, um diesem Ziel näherzukommen, deswegen hatte sie in den vergangenen Jahren immer mit »Nein« geantwortet. Offenbar erwartete Antoine auch dieses Mal die gleiche Antwort, denn er machte bereits Anstalten, Lynnies Akte zu schließen und die Besprechung zu beenden.
    »Ja«, sagte Lynnie.
    Antoine zog die Augenbrauen hoch.
    »Sehr gut, Kindchen«, befand Carmen. »Veränderungen sind die Würze des Lebens.«
    »Ich möchte in Urlaub fahren«, erklärte Lynnie.
    »So was hab ich noch nie von dir gehört«, stellte Sharon fest.
    »Ich will, dass mich Hannah und Kate begleiten. Und ich möchte meine Ferien selbst bezahlen.«
    »Das ist sehr lieb.« Hannah legte die Hand auf Lynnies Arm.
    »Das kostet vielleicht mehr Geld, als du hast«, gab Antoine zu bedenken. »Wohin willst du fahren?«
    »Hannah, weißt du noch, wo wir als Kinder mit unseren Eltern waren?«, fragte

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