Die Geschichte eines schoenen Mädchens
welchen Wunsch sie sonst noch hegte. Du darfst auch nicht sagen,dass du die Sicherheit suchst – Hannah fühlt sich schon schlecht genug, weil sie zugelassen hat, dass du so lange in der Versenkung verschwunden warst. Aber es gibt noch einen anderen Grund.
»Ich will dir damit danken, dass du zu mir gekommen bist«, sagte Lynnie. »Und dass du mich immer wieder besuchst – genau wie Kate.«
»Lynnie!« Hannah stellte das Glas ab und nahm ihre Schwester in die Arme. »Das ist das Netteste, was jemals jemand zu mir gesagt hat.«
Lynnie spähte über Hannahs Schulter aus dem großen Fenster. Der Himmel weinte. Lynnie beobachtete, wie die Tropfen über die Scheibe liefen, und dachte: Ein regnerischer Tag kann auch ein sehr wichtiger Tag sein. Und eine kleine Hoffnung ist gar nicht so klein, wenn sie eine verlorene Hoffnung weniger traurig macht.
Ins Licht
2001
Kate entdeckte Lynnie sofort auf dem Parkplatz.
Sie hatte gedacht, dass sie nach dem Morgenflug von Indianapolis und der Zugfahrt nach Poseidon, einer Küstenstadt in Jersey, müde sein und Schwierigkeiten haben würde, Hannah und Lynnie auf dem riesigen Parkplatz zu finden, den sie vom Zugfenster aus schon von Weitem gesehen hatte. Aber sobald sie aus dem Zug stieg und die salzige Luft einatmete, sah sie, wie die Beifahrertür eines grünen Volvo aufflog und eine große Frau mit silbernem Haar heraussprang. Hätte Kate nicht gewusst, nach wem sie Ausschau halten musste, hätte sie Lynnie mit ihrer Kurzhaarfrisur und der Brille nicht erkannt. Mit fünfzig war Lynnie ein klein wenig fülliger geworden, dennoch war sie begeistert wie immer, wenn sie Kate sah, und winkte heftig. Kate winkte zurück, dann hängte sie die Reisetasche an ihre Schulter. Lynnie stürmte auf den Bahnsteig, noch ehe Kate einen Schritt machen konnte.
»Du bist hier, du bist hier!«, rief Lynnie und fiel Kate um den Hals.
»Für ein ganzes Wochenende«, sagte Kate, »wie du es dir gewünscht hast.«
Es ist wunderbar, sie so glücklich zu sehen, dachte Kate, als sich Lynnie bei ihr unterhakte und sie gemeinsam dieTreppe hinunterliefen. Ihr Besuch in Harrisburg vor etlichen Jahren hatte Kate zutiefst berührt, und die Erinnerung daran trieb ihr immer noch Tränen des Stolzes und der Bewunderung in die Augen. Durch den Briefwechsel und die Telefonate wusste Kate, dass Lynnie selbstständiger und entschlossener geworden war, was ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche betraf. Jetzt, als sie den Parkplatz überquerten und Kate Lynnies Selbstsicherheit erlebte, bedauerte sie, dass sie nicht mehr mit Lynnie arbeitete. Die Zeiten ändern sich , tröstete sie sich und umarmte Hannah dabei. Mein Leben hatte anderes mit mir vor. Kates Kollegen neckten sie oft, weil sie weit mehr für ihre Schützlinge tat, als es ihre Pflicht gewesen wäre. Allerdings zeigten sie sich auch beeindruckt, als Kate ihnen von dieser Reise erzählte. »Und das ist keine Pflicht«, machte sie ihnen klar. »Lynnie ist für mich wie eine alte Freundin.« Eine alte Freundin mit einer sehr traurigen Geschichte.
»Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus«, sagte Hannah, als sie Kates Tasche im Kofferraum verstaute, »aber wir haben unsere Pläne für heute Nachmittag geändert.«
»Der Wetterbericht sagt ein Unwetter voraus«, setzte Lynnie hinzu.
Kate schaute zum Himmel. Schon ihm Zug hatte sie das tiefe Blau bewundert und sich gefreut, weil das Wetter ideal war für eine Partie Minigolf, eine Fahrt mit dem Riesenrad und all die Aktivitäten im Freien, die Lynnie sich für diese Tage vorgenommen hatte. Das Wetter war nach wie vor schön.
»Und es soll nicht nur ein normales Gewitter werden«, ergänzte Hannah, »sondern ein Sturm, wie sie zu dieser Jahreszeit nur selten vorkommen. Sie können ganz schön heftig werden.«
Jetzt entdeckte Kate ein erstes Anzeichen – eine niedrig hängende Wolke am östlichen Horizont.
»Deshalb haben wir entschieden, die Tour, die für morgen geplant war, vorzuziehen«, redete Hannah weiter.
»Was für eine Tour?«
Lynnie sagte: »Du weißt schon – mit jemandem, der uns alles zeigt.«
»Mir scheint das eine gute Möglichkeit zu sein, sich mit den Sehenswürdigkeiten hier vertraut zu machen«, meinte Hannah.
Als sie in den Wagen stiegen, bemerkte Kate, dass eine Brise den Abfall auf dem Parkplatz aufwirbelte.
»Zum Glück konnten wir die Tour auf heute Nachmittag vorverlegen«, sagte Hannah.
»Kommt der Sturm so schnell?«
»Wir wollen kein Risiko eingehen.« Hannah startete
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