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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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Besuch etwas mit ihrer Flucht zu tun haben musste.
    Kate bedankte sich bei Doreen. Und gleich nachdem Doreen das Büro verlassen hatte, öffnete Kate ihren Aktenschrank. Sie sah alle Zeichnungen durch. Die untersetzte Frau mit dem Pferdeschwanz war auf keiner zu sehen.
    Sie setzte sich und faltete die Hände auf dem Schreibtisch.»Ich weiß, du möchtest nicht, dass ich jemandem etwas erzähle, und ich habe dir versprochen, es nicht zu tun. Aber, Lynnie, ich mache mir schreckliche Sorgen um das Baby. Da draußen in der Welt existiert ein Kind. Dein Kind. Die Frau mit dem Pferdeschwanz weiß vielleicht etwas über dein Baby.«
    Lynnie sah Kate an. Kannte die Frau die alte Lady? Könnte Lynnie sie nach dem Wohlbefinden des Babys und nach seiner Haarfarbe fragen?
    »Ich bitte dich – flehe dich an, lass mich herausfinden, warum sie mit dir sprechen will.«
    Lynnie überlegte lange. Selbst wenn sie nicht mit dem Baby zusammensein konnte, war es vielleicht möglich, Neuigkeiten zu erfahren. Dann könnte sie die Bilder malen, die sie selbst nie sehen würde.
    Nein. Das durfte sie nicht. Sie drehte sich weg.
    Kate legte ihre Hand auf die von Lynnie, bis sie den Blick wieder auf sie richtete. »Ich weiß, dass du traurig bist über den Verlust. Doch eine Frage muss ich dir stellen. Bitte sei ehrlich zu mir, dann respektiere ich deine Wünsche.« Kate holte tief Luft. »Willst du, dass ich das Baby finde?«
    Daran hatte Lynnie noch nie gedacht.
    »Sag einfach, dass ich mich auf die Suche machen darf«, drängte Kate. »Ich werde das Haus der alten Lady finden und mich vergewissern, dass es dem Kind gutgeht. Ich werde dir alles erzählen, was du wissen willst – und mit keiner Menschenseele sonst darüber sprechen.«
    Das wäre wunderbar. Lynnie könnte die fehlenden Bilder zeichnen. Sie würde wissen, ob sie das Baby – ihre Tochter – wirklich gerettet hatte.
    Oder … ob sie etwas ganz anderes, als sie sich vorstellte, malen musste: ein Kind, das so aussah wie Tonette, nachdem Wanda mit ihr fertig war, oder das Tier, das dieHunde gerissen hatten. Lynnie starrte auf die Zeichnung mit dem Leuchtturmmann. Bei der alten Lady war ihre Kleine in Sicherheit. Nach einer Weile schaute sie zu Kate auf und blätterte eine Seite um, die sie am liebsten nie umgeblättert hätte.
    »Nein«, sagte sie.
Die große Zeichnung
1969
    Nach fünf Monaten stieß er endlich auf eine Hütte, in der er sich ausruhen konnte.
    Homan konnte sein Glück kaum fassen. Auf einem Felsen stand eine Hütte, umgeben von kniehohem Gras und jungen, vom starken Wind gebeugten Bäumen. Er blieb im Dämmerlicht stehen und starrte die Hütte an. Sie war einstöckig und hatte zwei Fenster und einen Kamin. Weit und breit waren kein Mensch und kein Haus zu sehen. Monatelang hatte er im Freien geschlafen unter einer Decke, die er von einer Wäscheleine geklaut hatte, und gewünscht, er könnte den Kaninchenfellmantel zuknöpfen. Wenn doch nur seine Brust nicht so breit wäre und er nicht die Jacke und das Hemd des Farmers in dem Fluss verloren hätte, von dem aus er nur nach Osten hätte gehen müssen, um zu dem schönen Mädchen zu kommen. Aber seine Brust war breit, die Kleider waren weg, und der Zug hatte ihn nach Westen gebracht.
    Nach vierzehn Tagen war ihm das Glück zum ersten Mal ein wenig hold gewesen, als er eine Tüte mit alten Klamotten im Wald gefunden hatte. Auch danach mied er Häuser, Geschäfte und Autos und spähte ständig über die Schulter, um zu sehen, ob Polizei in der Nähe war, und er klaute alles, was er gebrauchen konnte, um den Hunger abzuwenden, aber wenigstens klapperten tagsüber seineZähne nicht mehr. Wenn die Kälte an den Abenden zu schneidend wurde, wagte er sich in die Ortschaften vor und schlich sich in leere Garagen oder suchte Häuser mit Veranden, unter denen er sich verstecken konnte. Er hasste die Sonnenaufgänge, die ihn aus dem Schlaf rissen und ihm sein Elend vor Augen führten. Gleichzeitig liebte er sie, weil er dann alles vor sich sah: er und das schöne Mädchen mit im Wind wehenden Haaren im Maisfeld. Die Kleine in einem Korb streckte die Ärmchen nach ihm aus und berührte sein Gesicht. Kurz bevor er aufsprang, um weiterzulaufen, hob er die Hände und machte ein Zeichen: Guten Morgen, schönes Mädchen. Ich komme so schnell zu dir zurück, wie ich kann.
    Er stellte sein Bündel auf die Erde – er hatte seine Kleider, Beeren, eine Angelroute und einen selbst geschnitzten Speer, ein Zelt, ein Taschenmesser und

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