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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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Lebensmittelkonserven, die Camper auf einem Picknickplatz zurückgelassen hatten, in die gestohlene Decke gepackt – und bahnte sich einen Weg durch das hohe Gras.
    Er presste die Handflächen an die Holztür, in der Hoffnung, Vibrationen zu spüren, wenn sich jemand in der Hütte aufhielt. Die Tür bebte nicht unter seinen Händen, also schaute er erst durch das eine, dann durch das andere Fenster. In der Hütte rührte sich nichts, nur die Sterne spiegelten sich in der Fensterscheibe. Er wartete einen Moment, dann nahm er all seinen Mut zusammen, fasste nach der Klinke und stieß die Tür auf. Im Mondlicht konnte er ein paar Meter weit ins Innere der Hütte sehen. Da waren ein umgekippter Stuhl, ein Tisch mit einem abgebrochenen Bein, ein aus dem Felsen gehauener Kamin. Auf dem Sims lagen eine Zigarettenschachtel mit glitzerndem Stanniolpapier und ein Streichholzbriefchen. Vielleicht lauerte der Raucher in einem dunklen Winkel und machte sich bereit, sich auf ihn zu stürzen. Aber dieLuft roch modrig und schal wie in allen verlassenen Häusern. Er hielt die Tür mit einem Fuß auf, griff nach den Streichhölzern und zündete eines an.
    Jetzt konnte er klarer sehen. An den Wänden standen verstaubte Regale. Durch die Ritzen im Holzboden wucherte Gras. Es sah aus, als würde es hinter diesem Raum noch einen geben. Er entdeckte eine Laterne, die an einem Haken hing, und hielt die Flamme an den Docht. Die vierte Wand öffnete sich in eine Höhle.
    Homan hielt die Laterne hoch und drehte sich um die eigene Achse. Da war niemand sonst. Er ging in die Höhle. Sie war leer bis auf ein aus Ästen und Zweigen gemachtes Bett. Keine Decken, keine Kissen, kein kauziger alter Mann, der ihn böse anfunkelte. Wenn er nur statt des schmutzigen Kellers in einem Hinterhof einen Unterschlupf wie diesen gefunden hätte, als das Baby kam! Dann hätte man sie niemals aufgespürt und ihnen wäre erspart geblieben, meilenweit durch den Regen zu laufen oder all die Monate getrennt voneinander zu verbringen.
    Er lief mit der Laterne los, um sein Bündel zu holen.
    Erst als er die Tür von innen zumachte und den Stuhl unter die Klinke klemmte, begriff er, dass er mehr Glück hatte, als er ahnte: Im Regal standen Konserven mit Fisch und Beef. Er aß, bis er keinen Bissen mehr herunterbekam, dann legte er sich in seinen Kleidern hin, versteckte sich in der Höhle hinter dem Felsen, für den Fall, dass jemand einbrach. Zum ersten Mal seit Langem entspannte er sich und fiel in bleiernen Schlaf.
    Homan hatte nicht vorgehabt, nach seinem Abenteuer mit dem Lastwagen auf dem Parkplatz so lange allein zu bleiben, nur um in einer Höhle Unterschlupf zu finden.
    Noch auf dem Zug war er voller Hoffnung gewesen, dass er ganz rasch zu dem Knast zurückkommen würde. Er brauchte lediglich seine Angst im Zaum zu halten, bis der Zug im nächsten Bahnhof einfuhr, zu der Stadt, die er gerade verlassen hatte, zurückzukehren und sich den Weg zurück zum Fluss zu suchen. Das wäre nicht leicht, aber er konnte es schaffen. Er musste es schaffen. In der Nacht, als er bäuchlings auf dem Metalldach des Waggons lag und der Fahrtwind seine Hose und den Fellmantel aufblähte, vertrieb er die Angst mit Gedanken an das schöne Mädchen. Er dachte daran, wie sie sich in den Stall geschlichen und gelacht hatte, als er ihr beibrachte, wie man Kühe molk. Wie sie im Büro des Rotschopfs das Transistorradio in seine Hosentasche gesteckt hatte, damit er die Vibrationen spürte, und sie die Füße in einem langsamen Tanz bewegten. Wie sie ihn im Maisfeld umarmte an dem Tag, den er im Geist den »Tag der roten Feder« nannte.
    Während Homan sich auf dem Waggon festhielt, drehte er den Kopf. Er konnte nicht sagen, wie lange er schon auf dem Zug gelegen hatte, aber die Sterne zeigten ihm, dass der Tagesanbruch bevorstand und dass er sich auf dem Land befand.
    Er war wieder auf der Flucht, aber er fühlte nicht den maßlosen Zorn, der ihn am Ende seiner letzten Flucht vor vielen Jahren übermannt hatte, als sich die Tore des Knastes schlossen. Er war wütend auf die Polizei, auf den Richter und, ja, auf sich selbst gewesen. Sie haben dich geschnappt, weil du deinen Namen gesagt hast. Du wirst nie wieder versuchen, mit dem Mund zu sprechen! Monatelang hatte er gekämpft und mit Sachen um sich geworfen. Er gehörte nicht an diesen Ort! Er war nicht schwachsinnig! Aber seine Wutausbrüche führten nur dazu, dass er in die Abteilung mit den gewalttätigen Jungs kam, und eine

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