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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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erst nahm er sie im Speisesaal oder auf dem Gelände wahr: Sie war nie herrisch oder jähzornig; sie hatte eine Freundin und besuchte die rothaarige Pflegerin in deren Büro. Sie lächelte nicht oft, doch wenn sie es tat, ging die Sonne auf. Erst als sie größer wurde, weibliche Formen und den Gang einer Frau annahm, registrierte er, dass sie äußerlich so schön war wie in ihrem Inneren. Dann dachte er jeden Morgen an sie. Als er wusste, dass ein Baby in ihr heranwuchs und dass die Jungs ihr Gewalt angetan hatten, beschloss er, zu warten, bis sie beide frei waren.
    Heute hatte er eine verschlossene Tür und konnte endlich länger liegen bleiben.
    Am Morgen, nachdem er Pudding und der Getupften entkommen war, wachte er auf dem Waggondach auf, als der Zug ruckend zum Halt kam. Die Sonne wärmte seinen Rücken. Er streckte einen Arm zur Seite und deutete mit den Fingern nah unten. Die Schatten waren kurz, was bedeutete, dass bald Mittag war und es schwer sein würde, sich zu verstecken. Dennoch musste er einen Zug finden,der dieselbe Strecke zurückfuhr. Er stützte sich auf einen Ellbogen.
    Homan war in einem Bahnhof. Zur Linken befand sich ein Gebäude, vor dem Männer in Uniformen herumliefen. Auf der rechten Seite standen Waggons, dahinter lagen grasbewachsene Hügel. Wenn er außer Sichtweite der Männer bleiben konnte, war alles gut.
    Da niemand in seine Richtung schaute, setzte er sich auf. Sein Körper war steif, und sein Bein tat immer noch weh. Außerdem musste er aufs Klo. Hunger hatte er auch, weil er seit dem Sandwich auf dem Picknickplatz nichts mehr gegessen hatte. Ihm fiel der Umschlag wieder ein, den ihm der Mann in die Tasche gesteckt hatte. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt hineinzuschauen, aber der Inhalt war dick wie ein Sandwich, und vielleicht war ja wirklich eines drin. Er drehte sich auf die Seite und holte das Kuvert aus der Tasche.
    Er fand ein mit Schnüren verknotetes Papierbündel. Er knüpfte die Knoten auf. Enttäuschung machte sich breit. Es war nur ein Stapel grüner Rechtecke. Geld. Er erinnerte sich, dass die Kunden die McClintocks mit Geld bezahlt hatten, er selbst hatte so etwas noch nie benutzt. Er blätterte den Stapel durch und sah, dass auf jedem Blatt ein Mann abgebildet war. Manche hatten Bärte, andere waren glatt rasiert; einige dick, einige dünn. Vielleicht waren zehn silberne Scheiben nicht genug für all diese Blätter. Aber wie viel war das alles wert? Wie viele davon brauchte man, um einen neuen Motor oder einen Hamburger zu kaufen?
    Homan stopfte das Geld in den Umschlag zurück und steckte ihn tief in die Tasche.
    Dann setzte er sich wieder auf und sah nach, wie viele Waggons noch hinter seinem hingen. Er entdeckte nirgends eine Leiter, über die er hinunterklettern konnte.Er drehte sich nach links und hielt nach etwas Ausschau, woran er sich festhalten konnte. Nichts. Und rechts? Dort entdeckte er die blank geputzten Schuhe eines Mannes.
    Homan schaute nicht auf. Der Mann musste auf das Dach geklettert sein, vielleicht nachdem er etwas gerufen hatte. Homan rollte sich auf die andere Seite und sah, dass weitere Männer auf den Waggon kletterten. Der erste Mann hatte einen mit Leder bezogenen Stock in der Hand.
    Lauf!
    Er rannte los, sprang von Waggon zu Waggon. In den Cowboyfilmen, die er im Knast gesehen hatte, hatte er solche Jagden immer lustig gefunden. Aber selbst der Gejagte zu sein? Sein Bauch war angespannt. Er lief Gefahr, zwischen die Wagen zu stürzen! Sie könnten auf ihn schießen! Er zwang sich, nicht zurückzublicken. Er stürmte über einen Waggon, einen zweiten, einen dritten – dann sprang er ab. Er landete hart. Ein neuer, heftiger Schmerz fuhr durch seine Wade, der alte brannte in seinem Knie, trotzdem lief er weiter. Er wusste, dass er schnell war – zum Glück. Andererseits wünschte er sehnlichst, er müsste es nicht sein.
    Bald kann ich mich endlich auf den Rückweg machen, sagte er zu den Traumwesen, bevor er mit dem Speer die Hütte verließ, um sein Mittagessen zu jagen. Seine Beine brauchten längst eine Ruhepause, um zu heilen; hier konnte er seine Knochen erwärmen und sich den Bauch füllen. Warte nur ein Weilchen, bis ich mich ausgeruht habe , bat er und beteuerte: Es dauert nicht mehr lange.
    Er zog auf der Suche nach Wild immer größere Kreise um die Hütte und überlegte, wie er zum Knast zurückfinden sollte. Blue hatte ihm beigebracht, wie man Tiere erlegte. Von Landstreichern, denen er auf seiner erstenFlucht begegnet

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