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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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Schwester ihm süßenSaft einflößte, der sein Gehirn in Mus verwandelte. In der tiefsten Verzweiflung fiel ihm ein, wie sich Blue gegen die Gemeinheiten dieser Welt gewehrt hatte. Ich lasse mich nicht in die Knie zwingen , hatte er immer gesagt . Und schon gar nicht von Leuten, die sich einbilden, etwas Besseres zu sein. Ich habe Aufgaben zu erfüllen, und die wichtigste ist, dein großer Bruder zu sein – nichts kann mich davon abhalten. Selbst in seinem benommenen Zustand wurde Homan eines klar: Blue hatte seinen Platz in der Welt gefunden, indem er sich um einen anderen Menschen kümmerte. Allein die Vorstellung, dass er dasselbe mit den sabbernden Idioten tun sollte, widerstrebte Homan zutiefst. Aber er musste dafür sorgen, dass er seinen Verstand zurückbekam.
    Er beobachtete, dass Shortie, der jeden schlug, der an ihm vorbeiging, erst mit dieser Unart anfing, wenn sein Lieblingswärter am Abend nach Hause verschwand. Eines Abends begann Homan damit, Shortie kurz vor Schichtwechsel einen Ball zuzurollen. Es dauerte eine Weile, bis Shortie darauf reagierte, aber dann lenkte ihn der Ball von dem Wärter ab, und es kam seltener vor, dass er zuschlug. Bald überlegte Homan, wer sonst noch seine Hilfe brauchte. Er übernahm es, »Mann wie ein Baum« eine Windel anzulegen, und ersann eine Methode, »Wirbelnden Kreisel« in den Speisesaal zu bringen. Er drehte sich um die eigene Achse wie Wirbelnder Kreisel und bewegte sich dabei auf ihn zu, bis er aus seinem Kreis heraustrat. Eines Tages half Homan dem dickbäuchigen Handwerker, ein Fenster einzusetzen, und ab diesem Zeitpunkt gestand man ihm Privilegien zu.
    Er fand heraus, dass ihn das Geben stolz machte. Und der Stolz verlieh ihm mehr Mut, das zu tun, wofür er ein besonderes Geschick hatte: verstopfte Rohre freilegen, Scharniere und Türangeln ölen, Traktor fahren. Und da er seine Sache gut machte, erhielt er noch mehr Vergünstigungen.Irgendwann konnte er fast so frei leben wie jemand, der nicht für den Rest seiner Tage in eine Anstalt gesperrt war. Erst als das schöne Mädchen zur Frau heranwuchs, verspürte er den Wunsch, noch freier zu sein.
    Die Morgendämmerung schimmerte durch das Fenster der Hütte. Homan streckte wie jeden Morgen die Arme nach den Traumgestalten aus, um sie festzuhalten. Das schöne Mädchen drehte sich mit nach oben gewandtem Gesicht um die eigene Achse, während Blütenblätter auf sie niederregneten. Die Kleine, die schnell gewachsen war, krabbelte auf der Erde um den Baum herum und zupfte an Kleeblättern. Obwohl er keine Ahnung hatte, was sich in dem Farmhaus abgespielt hatte, redete er sich ein, dass die Kleine in der Obhut der Frau mit dem Dachboden sicher war. Trotzdem war die Kleine, wenn er sich das schöne Mädchen beim Aufwachen vorstellte, immer bei ihr. Er begrüßte die beiden mit seiner Guten-Morgen-Geste, doch dann fiel ihm ein, dass er heute nicht gleich aufspringen und weiterlaufen musste. In einer Hütte mit einer verschließbaren Tür konnte er so lange herumtrödeln, wie er wollte.
    Seit Langem – schon in Edgeville, als er seine Kindheit hinter sich gelassen hatte – wünschte er sich oft, morgens länger im Bett bleiben zu können. Damals malte er sich aus, dass ein Mädchen neben ihm lag, und seine Lenden standen in Flammen. Er wollte sich selbst Erleichterung verschaffen, und bei den seltenen Gelegenheiten, wenn seine Geschwister und Mama aus dem Haus waren und Blue draußen bei Ethel, tat er das auch. Doch auf seiner Flucht war ihm dieser Luxus versagt geblieben, denn jeden Tag schaute er sich gleich nach dem Aufwachen hektisch um und sprang auf, um weiterzuziehen. Wie hatte er all die Leute beneidet, die ihre Türen verschließen konnten!Er hatte durch Fenster beobachtet, wie Männer die Arme um ihre Frauen legten, ihre Lippen und ihre Hälse küssten und die Blusen aufknöpften, ehe sie die Jalousien herunterließen. Im Knast war es sogar noch schlimmer. Wenn die Wärter oder Pfleger einen Jungen erwischten, wie er sich selbst befriedigte, musste er die Hände auf den Tisch legen, und sie schlugen ihm mit einem Lederriemen auf die Finger.
    Lange Zeit war ihm kein Mädchen ins Auge gestochen. Selbst das schöne Mädchen übte anfangs keinerlei Wirkung auf ihn aus. Zum ersten Mal fiel sie ihm auf, als sie noch jung war und er ein Grab aushob. Nicht ihr langes, blondes Haar oder das offene Gesicht machten ihn auf sie aufmerksam, sondern die Art, wie sie weinte, als der Sarg ins Grab gesenkt wurde. Danach

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