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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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war, hatte er sich abgeschaut, wie man auf Züge aufsprang. Im Alleingang hatte er gelernt, auf Farmen Hühner zu stehlen. Aber wie sollte er von einem unbekannten Ort ein so fernes Ziel erreichen? Züge waren nicht sicher, und um mit Bussen zu fahren, müsste er mit Geld umgehen können. Er hatte Tramper im Fernsehen gesehen, aber wie sollte er dem Fahrer klarmachen, wohin er wollte? Und wie hieß die Stadt in der Nähe des Knasts? Wie hieß der Knast?
    Halt mal. Dort drüben hockte ein Kaninchen. Anders als die letzten beiden schaute es nicht in seine Richtung, und wenn er schnell war, hatte er sein Mittagessen. Er umfasste den Speer fester. Das Kaninchen nahm den fliegenden Speer wahr, aber zu spät. Es wurde getroffen, ehe es sich aus dem Staub machen konnte.
    Erfreut sammelte Homan seine Mahlzeit ein. Was fiel ihm ein, sich Sorgen darum zu machen, wie er zurückkam? Er hatte es sich versagt, auch nur eine Minute zu weinen, seit er das schöne Mädchen und die Kleine zurückgelassen hatte. Er hatte Fehler gemacht, daran bestand kein Zweifel, und er war so weit vom Bahnhof weggelaufen, dass er in Edgeville gelandet sein könnte. Dafür hatte er Kleidung, Obdach und Essen.
    Er entfachte ein Feuer. Vielleicht würde er den Weg zurück nicht finden, aber es war schon bemerkenswert, dass das Kaninchen im richtigen Moment aufgetaucht war. Und die Hütte hatte er gefunden, als er einen Unterschlupf am nötigsten brauchte, genau wie der Zug und die Stelle mit der losen Erde auf dem Parkplatz. Waren seine achtunddreißig Jahre doch nicht nur ein einziges Taumeln von einer Katastrophe zur nächsten gewesen, wie er immer gedacht hatte? Möglicherweise steckte mehr dahinter. Hatte ihn seine lange Reise nicht auch zu den McClintocks, Shortie und zum schönen Mädchen geführt,das er jetzt vor sich sah, wie es im Dampf der Wäscherei seine Gesten nachahmte.
    Während er sich in den folgenden Tagen bemühte, zu Kräften zu gelangen, fiel ihm ein, dass einem der Weg durchs Leben nur momentan so holprig und verworren vorkam. Wenn eine Fliege über ein Bild kroch, das das schöne Mädchen gemalt hatte, dann sah sie auch nur Grün, Blau, dann Gelb. Erst wenn sich die Fliege in die Lüfte erhob, erkannte sie, dass sich die Farben zu einem großen Ganzen zusammenfügten – das Grün gehörte zu diesem Teil des Bildes, das Blau zu jenem, das Gelb zu einem anderen –, und alles so war, wie es sein sollte. War es auch mit dem Leben so?
    Er verdrehte die Augen, weil seine Gedanken diese Richtung eingeschlagen hatten. Wieso hatten die Katastrophen dann nicht aufgehört, nachdem er das Fieber, die große Flucht und die lange Zeit im Knast überstanden hatte? Er kam aus dem Grübeln nicht heraus. Was, wenn die guten und die schlechten Phasen einfach dazugehörten? Wenn es tatsächlich eine große Zeichnung gab? Hieß das, dass es auch einen großen Maler gab?
    Eine Woche verging. Homan wurde kräftiger. Noch eine Woche verstrich. Die Verletzungen heilten. In der dritten Woche kamen ihm Zweifel an seinen Überlegungen, andererseits verspürte er genügend Zuversicht, um zu beschließen, am nächsten Tag weiterzuziehen und den Weg zum schönen Mädchen zu suchen. Das bedeutete allerdings, dass er noch zwei Dinge hinter sich bringen musste. Zum einen musste er etwas verstecken. Er zog die Stiefel aus, nahm das Taschenmesser und die Geldscheine, schnitt Schlitze in die Innenseiten der Stiefel, wo immer sie weich genug dafür waren. Dann stopfte er die Scheine in die Schlitze. Jetzt konnte er auf den Kaninchenfellmantel verzichten.
    Nachdem das erledigt war, musste er sich weiter weg von der Hütte wagen als die ganzen Tage zuvor. Er war von Süden gekommen und auf einen breiten Fluss gestoßen, als er die östliche Richtung eingeschlagen hatte. Deshalb wandte er sich an diesem Nachmittag nach Norden, bis er zu einem felsigen Kamm gelangte.
    Im Tal unter ihm stand ein großes braunes Gebäude, und dahinter erstreckten sich Rasenflächen, Häuserzeilen und Straßen. Er kauerte sich hin und spähte durch die Büsche. Auf der einen Seite des Gebäudes lag ein Parkplatz, auf dem gelbe Busse abgestellt waren, auf der anderen befand sich ein mit voll besetzten Tribünen umringtes Feld. Junge Männer in gleichen Trikots stürmten aus dem Gebäude, gefolgt von einer anderen Gruppe in anderen Trikots. Die erste Gruppe schwärmte über das Feld aus. Homan dämmerte, dass dies ein Baseballplatz sein musste. Die Wärter und Pfleger im Knast hatten

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