Die Geschichte eines schoenen Mädchens
Wächtern in den Saal zurückkehrte. Währenddessen musste er an Shortie und Wirbelnder Kreisel denken und daran, wie schön es gewesen war, Freunde zu haben. Er presste seinen Fluchtkoffer an die Brust und ging durch den Mittelgang auf die Silbernen zu. Dem Jungen – dem Samariter-Finder, wie Homan ihn getauft hatte – erging es offenbar ähnlich: Er hatte die Hand nach Homan ausgestreckt, bevor sie sich getrennt hatten, und seine Finger an Homan gedrückt.
Der Tag zog sich in die Länge.
Eingezwängt zwischen dem Dürren und dem Bezopften mit dem Koffer unter seinem Stuhl, stellte sich Homan vor, dass die Trucks, die er bei der Ankunft gesehen hatte, längst weg waren. Er strengte sich an, durch reine Willenskraft andere Fahrzeuge herbeizubeschwören und die beiden Jungs dazu zu bewegen, ihn für eine Weile aus den Augen zu lassen.
Dann schoben zwei Muskelprotze in Anzügen die Rampe zur Bühne, und als sie sie dort befestigten, standen die Jungs auf und bedeuteten Homan, ihrem Beispiel zu folgen. Für einen Moment überlegte er, einfach sitzen zubleiben, aber mit Sturheit würde er nur eine Szene verursachen. Abgesehen davon waren seine Fluchtchancen besser, wenn er stand – selbst wenn er den Koffer zurücklassen musste. Erst als sie ihn weiter eskortierten, merkte er, dass schon viele auf dem Weg zur Rampe waren – mit Krücken, Stöcken und Rollstühlen und Begleitern jeden Alters.
Dass Homan seine Habseligkeiten nicht bei sich hatte, war seine geringste Sorge. Viel schlimmer war, dass ihm so vieles den Weg versperrte. Die Jungs führten ihn an der langen Warteschlange vor der Rampe vorbei. Die anderen Hoffnungsvollen nickten freundlich und ließen sie vor. Er und die beiden Jungs platzierten sich so, dass nur noch wenige Wartende vor ihnen standen.
Der erste Mann in der Schlange hatte seinen Arm um die Schultern einer Frau gelegt, und als er die Rampe hinaufging, zog er ein Bein nach – es war von oben bis unten eingegipst. Homan war sich im Klaren, dass ihm nicht viel Zeit blieb, seine Umgebung abzuschätzen. Er wandte sich nach rechts, dann nach links: endlose besetzte Stuhlreihen, die sich bis zu den Wänden und den Seiteneingängen erstreckten. Zu schade, dass er nicht am Ende der Schlange stand. Wie vorauszusehen war, hatte sich der Dürre direkt hinter ihm postiert, und mittlerweile warteten noch mehr Leute auf den Segen des Predigers und die Spontanheilung. Vermutlich war es leichter, einen Fluss zu durchqueren als diesen Raum.
Eine Bewegung gleich hinter dem Dürren weckte seine Aufmerksamkeit – eine Hand in Taillenhöhe.
Der Samariter-Finder! Obschon ihm das Herz schwer war, breitete sich ein Lächeln auf Homans Gesicht aus, und Samariter-Finder erwiderte es. Aber da lagen Hände an den Griffen von Sams Rollstuhl, und als Homan den Kopf hob, sah er zwei dunkelhaarige Frauen, die erwartungsvollzur Bühne schauten. Zwar war die eine dicker als die andere, dennoch wiesen sie eine gewisse Familienähnlichkeit mit Sam auf. Der Junge beachtete die Frauen gar nicht, und als Homan seinem Blick wieder begegnete, deutete er zur Bühne und schüttelte den Kopf.
Homan nickte. Dann wandte er sich um. Ein Scheinwerfer war auf einen blinden Mann auf der Bühne gerichtet. Er hatte seine Brille weggeworfen und trat mit stockenden Schritten vorwärts – ein todsicheres Zeichen, dass er nach wie vor nicht sehen konnte. Wieso nahm eine Person diese Farce auf sich? Glaubte er wirklich, dass ihn der Prediger sehend gemacht hatte? Oder führte er dieses Spektakel nur auf, um seinem Begleiter zu gefallen?
Ein Mann mit Krücken mühte sich auf die Bühne – Homan war als Nächster dran.
Er überblickte den Saal, und obwohl er sie nicht entdeckte, wusste er, dass ihn die Silbernen beobachteten. Er wünschte, er hätte ihren Koffer nicht mit Diebesgut vollgestopft und könnte ihre Gastfreundschaft mit einer Heilung entlohnen. Jetzt erkannte er, dass sich die meisten Leute hier so sehr wünschten, wieder gesund zu werden, dass sie alles tun würden – sein Wunsch hingegen war nicht so stark. Das schöne Mädchen störte sich nicht an seiner Taubheit. Ihr Gesicht strahlte, wann immer sie ihn sah – sie mochte ihn so, wie er war. Solange sie mit seinem Zustand zufrieden war, war er es auch, und er würde ganz bestimmt kein Theater spielen. Wenn er drankam und auf der Bühne im Scheinwerferlicht vor den Fernsehkameras stand, würde er sich als die größte Pleite im Leben des Priesters erweisen.
Der Mann
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