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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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wünschte, er könnte wirklich glauben, dass es einen großen Künstler im Himmel gab. Der könnte ihm verraten, warum sich das schöne Mädchen nicht umgedreht hatte, als er immer und immer wieder an das Traumfenster geklopft hatte.
    Die Sonne schien, als sie die Brücke, die zur hügeligen Stadt führte, erreichten.
    Es war eine Doppeldecker-Brücke, und sie fuhren in der oberen Spur. Zu beiden Seiten breitete sich glitzerndes Wasser aus, auf der einen Seite waren zwei Inseln. Frachtschiffe liefen aus dem Hafen hinter ihnen aus. War dies das Meer, welches das schöne Mädchen gezeichnet hatte? Er spähte zu Sam, doch der tat, was er die letzten beiden Tage schon gemacht hatte: Er starrte mit gerunzelter Stirn und zusammengepressten Lippen aus dem Fenster. Wenn sich seine Laune doch nur bessern würde! Sie fuhren durch einen Tunnel, und als sie wieder ans Tageslicht kamen, wusste Homan, warum sie die Brücke überqueren mussten, um in diese Stadt zu kommen. Nein, das konnte nicht das Meer sein, nicht so nahe an der Stadt. So eine Stadt hatte er noch nie gesehen – lauter Hügel,viel Nebel und bunte Häuser, die sich bergauf und bergab aneinanderreihten wie Perlen an einer Schnur.
    Sie verließen die Brücke und fädelten sich in den dichten Verkehr ein. Sam deutete nach rechts, und Homan bog ab. Bürokomplexe, alte Bauten, Apartments. Auf den Bürgersteigen tummelten sich die unterschiedlichsten Menschen: braune, weiße, Chinesen, Kinder, Erwachsene, alte Leute. Ladys in kurzen Kleidern, Männer in Anzügen, Soldaten in Uniformen. Plötzlich entdeckte Homan inmitten der Menschenmasse das schöne Mädchen. Wie war das möglich? Er bremste ab und sah genauer hin. Sam drängte ihn weiterzufahren, aber Homan musste Gewissheit haben. Dort ging sie. Er blieb stehen und war schon drauf und dran auszusteigen, als er merkte, dass diese Frau zu klein und ihr Haar zu dunkel war – sie hatte nicht einmal Ähnlichkeit mit dem schönen Mädchen. Kummer erfüllte ihn, als er wieder aufs Gaspedal trat. Sie fuhren steil bergauf, dann hinunter direkt in den Nebel. Homans Blick schweifte zu Sam. Komm zurück zu mir. Du bist alles, was ich noch habe. Sam tippte mit dem Daumen auf die Armlehne des Rollstuhls.
    Dann bogen sie in eine steile Straße mit Wohnhäusern ein, die an die elegantesten Villen der reichen Weißen in Edgeville erinnerten. Nur waren diese noch schöner und mit kräftigen Farben gestrichen – blau, violett und weiß. In einigen Vorgärten standen kleine Bäume, und zu jedem Eingang führte vom Gehsteig aus eine Treppe hinauf.
    Sam deutete auf eines der Häuser, und Homan blieb davor stehen. Er drehte sich gerade rechtzeitig seinem Beifahrer zu, um zu beobachten, dass er tief Luft holte.
    Homan atmete auch durch. Es würde schwer werden, den Rollstuhl da hinaufzuzerren. Der Gehsteig war so schräg, dass man die Rampe nicht an den Van anlegen konnte, und außerdem erschien es Homan nicht richtig,dass er sich für jemanden, der ihm nicht einmal einen flüchtigen Blick gönnte, so abplagen sollte. Andererseits wusste er, wie es sich anfühlte, wenn einen die Niedergeschlagenheit verschlang, und dass man in einer solchen Situation jemanden an seiner Seite brauchte. Nach dem Fieber war Blue für ihn dieser Jemand gewesen, und jetzt brauchte ihn Sam.
    Er überlegte, wie er die Rampe einsetzen konnte, um den Rollstuhl aus dem Van zu bringen. Das Unterfangen gelang, und Homan schloss den Van ab, ehe er den Rollstuhl Stufe für Stufe rückwärts zum Haus hievte. Es würde sie größte Mühe kosten, hier wieder herunterzukommen, ging es ihm durch den Kopf. Die Anstrengung brachte ihn zum Schwitzen, und er hoffte, lange Zeit hierbleiben, entspannen, in einem ordentlichen Bett schlafen und die Aussicht genießen zu können. Das Land fiel von ihrem Standpunkt aus ab zu einer silbrig leuchtenden, nicht enden wollenden Wasserfläche. Segelboote glitten durchs Wasser. Vögel kreisten am Himmel. War dies das Meer? Das würde er erst wissen, wenn er das Wasser gekostet hatte. Aber es war schön. Er schüttelte den Kopf, weil ihm gerade dieses Wort einfiel. Dann schloss er die Augen und stellte sich vor, wie das schöne Mädchen im Büro saß und das Bild mit dem großen Wasser zeichnete. Der Turm auf der einen, das Meer auf der anderen Seite. Ja. Das Wort war treffend. Schön .
    Endlich die letzte Stufe.
    Atemlos und schweißgebadet, drehte er Sam zur Tür. Das Gesicht des Jungen wirkte grimmig, und plötzlich beschlich Homan eine

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