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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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während sie sich an aufblasbaren Spielsachen festhielten. Erdbeere winkte Homan, Sam und Perlenarmband zu sich. Sam schüttelte knapp den Kopf und zeigte ausnahmsweise nicht sein strahlendes Lächeln. Erdbeere zog einen Schmollmund, doch er blieb eisern. Er mied sogar Homans Blick, als er hastig wegrollte. Homan fragte sich, ob Wasser etwas mit seiner Behinderung zu tun haben könnte.
    Er und Perlenarmband folgten Sam über eine Terrasse an der Seite des Hauses. Erdbeere schleuderte kichernd ihr langes Haar hinter die Schulter und kam zu ihnen. Gerade als Sam sein Lächeln wiedergefunden hatte, erreichten sie einen Innenhof mit Holzgittern, an denen wilder Wein rankte. Der Wein verströmte den schimmligen Geruch, der Homan sofort aufgefallen war. Die Leute in dem Innenhof winkten Erdbeere zur Begrüßung. Sam und sie gesellten sich zu ihnen. Homan fühlte eine Berührung an seinem Arm. Perlenarmband sah ihn unbehaglich an und deutete mit dem Kopf zum Haus.
    Sam und Erdbeere unterhielten sich mit den anderen, und alle machten fröhliche Gesichter.
    Homan setzte sich neben Erdbeere auf eine Bank. Perlenarmband ließ sich widerwillig auf einen Korbstuhl inder Nähe nieder. Sam hielt Hof – die Leute hörten ihm zu. Offenbar erzählte er eine Geschichte – vielleicht eine Geschichte vom Baden in einem Pool.
    Jemand tippte Homan auf den Arm. Erdbeere bot ihm eine brennende Zigarette an. Im Knast holte der Boss seine Zigaretten immer aus einer silbernen Dose. Der Wärter mit den Hunden kaute Tabak. Der dünne Wärter rauchte Pfeife. Homan verabscheute den Gedanken, wie sie zu sein, und lehnte mit einer Handbewegung ab. Erdbeere tat etwas, was er noch nie gesehen hatte, sie nahm die Zigarette, inhalierte tief den Rauch und reichte sie an die Person weiter, die auf der anderen Seite neben ihr saß. Die Zigarette machte die Runde. Während er den Vorgang verfolgte, wurde ihm klar, dass die Zigarette, nicht der wilde Wein die Quelle des Geruchs war. Demnach handelte es sich nicht um Tabak. Aber wenn das Zeug verschimmelt war, würden sie es nicht von einem zum anderen weitergeben. Alle sogen den Rauch tief in die Lungen – sogar Sam, der die Zigarette wie den Schokoriegel und den Stift zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Nur Perlenarmband gab die Zigarette weiter, ohne daran zu ziehen.
    Würde das schöne Mädchen in dem Innenhof mit den rauchenden Leuten bleiben wollen, wenn sie hier wäre?, fragte sich Homan. Oder zöge sie es vor, das zu tun, was andere Paare machten: sich gemeinsam von den Menschen entfernen und eine Party zu zweit genießen? Er malte sich aus, wie sie nebeneinander im Gras saßen, sich mit Gebärden unterhielten, lachten … Dann traf ihn die Erkenntnis, dass er vielleicht nie wieder die Gelegenheit bekam, sich in seinen privaten Himmel zurückzuziehen, wo das Leben trotz all seiner Bitterkeit süß schmeckte, wie ein Schlag in die Magengrube, und seine Eingeweide fingen wieder an zu brennen.
    Er wünschte, er könnte dieses Brennen kühlen, aufstehen, aus dem Licht rennen und das schöne Mädchen am Rand der Party finden. Er würde ihre Hand nehmen, sie zu seinen Lippen führen und dann auf die Sterne zeigen, wie er es im Knast getan hatte. Aber er saß hier, im Licht, und sie war weit, weit weg. Er befand sich in Gesellschaft von Menschen, die ihn weder ignorierten noch verspotteten oder täuschten, sondern sie verhielten sich, als gehöre er zu ihnen. Wenn er schon nicht bei ihr sein konnte, dann konnte er wenigstens versuchen, sich anzupassen.
    Als die Zigarette das nächste Mal zu ihm kam, zog er daran.
    Hmmm . Der Rauch schmeckte warm und würzig – viel besser, als er es erwartet hatte –, als er sich im Mund ausbreitete, durch seine Kehle in die Brust floss und den Bauch sowie Arme und Beine bis in die Zehen- und Fingerspitzen durchdrang. Es war, als würde ihn sein eigener Atem zu einem privaten Ort entführen, als würde sein Blut ihn mit neuem Leben durchströmen.
    Jemand nahm ihm die Zigarette aus der Hand. Homan schloss die Augen; er fühlte sich wie ein Heißluftballon, der in die Nacht aufstieg. Er war nicht mehr der Mann, der den Weg nach Hause suchte. Er war ein Augenblick mit der Macht der Ewigkeit. Eine Welt, die sich nicht drehen will. Und er fühlte sich so funkelnd und weit wie der Sternenhimmel.
    Er öffnete die Augen. Alle lachten – nicht über ihn, auch wenn er ein ziemlich dämliches Gesicht gemacht haben musste. Und sie reichten ihm schon wieder eine Zigarette. Er

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