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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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böse Vorahnung.
    Sam deutete aufs Schloss, dann auf Homans Hosentasche, in die er die Schlüssel gesteckt hatte. Homan holte den Bund heraus, und Sam zeigte ihm, welcher Schlüssel der richtige war.
    Er passte und ließ sich leicht im Schloss drehen. Homan fasste nach dem Knauf, doch der drehte sich bereits ohne sein Zutun. Offenbar hatte man sie gesehen. Die Tür ging auf.
    Ein groß gewachsener Mann mit Brille stand vor ihnen. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte Argwohn in dessen Augen auf, als hätten Wildfremde seine Tür aufgeschlossen. Dann fiel sein Blick auf Sam, und Erleichterung zeichnete sein Gesicht. Er öffnete den Mund. Homan nahm eine Bewegung im Haus wahr. Eine Frau rannte an den kunstvoll geschnitzten Stühlen vorbei. Tränen strömten über ihre Wangen. Beide wirkten ängstlich, verärgert und erfreut zugleich – dasselbe Gefühlswirrwarr spiegelte Sams Gesicht wider. Als die Frau die Arme um Sam schlang, erkannte Homan sie als eine der Frauen wieder, die mit Sam in der Kirche gewesen waren.
    Der Mann funkelte Homan an, und als die Frau Sam losließ, verzog sich seine Miene zu einem Schreigesicht. Sam schien zurückzuschreien, doch der Mann ließ sich nicht beirren, und die Frau fiel mit ein. Alle redeten gleichzeitig. Offenbar identifizierte die Frau Homan als den Mann, der Sam aus der Kirche entführt hatte. Ihr Gesicht war mittlerweile hochrot angelaufen, und der Mann trat aus dem Haus. Obschon Sam, so gut er konnte, mit den Armen fuchtelte, um den Mann abzuwehren, packte der die Griffe des Rollstuhls, drehte ihn und zog Sam über die Schwelle ins Haus. Endlich sah Sam Homan an – mit Schreigesicht, aber die Wut galt nicht seinem Weggefährten. Seine Miene drückte Zorn und Widerstand aus. Doch der Mann blieb eisern, und dann stand der Rollstuhl im Haus. Sam wirbelte ohne Hilfe herum, stellte sich dem Mann und der Frau und zeigte erst auf Homan, dann auf sich selbst. Der Mann und die Frauschenkten ihm keinerlei Beachtung. Der Mann zog den Schlüssel aus dem Schloss und schob ihn in seine Tasche. Die Frau schüttelte entschieden den Kopf. Sam flehte. Überall waren Tränen.
    Dann fasste der Mann in seine Tasche und holte eine Geldbörse heraus. Er nahm all die Geldscheine, die sie enthielt, in die Hand und hielt sie Sam vor die Nase, damit er sie sehen konnte. Sam schüttelte den Kopf, aber der Mann ging auf Homan zu, sagte etwas zu ihm und steckte ihm das Geld in die Jackentasche.
    Alles ging blitzschnell.
    Der Mann wich zurück. Homan spähte an ihm vorbei zu Sam und versuchte, das Ganze zu verstehen.
    Tränen schossen aus Sams Augen. Doch als er Homans Blick begegnete, nahm er einen ganz neuen Ausdruck an – er war stärker als Wut und viel mächtiger als Flehen. Es war ein Gesicht, das sagte: Es tut mir leid .
    Dann wurde die Tür vor Homans Nase zugeschlagen.
    Lange Zeit stand er reglos da. Das konnte nicht wahr sein – sein einziger Freund war weg.
    Schließlich stolperte er hinunter zum Van und warf nach jedem Schritt einen Blick zurück zum Haus. Aber die Tür blieb zu.
    Auf dem Gehsteig starrte er den Van an. Alles, was er besaß, war da drin: seine Kleider, der Schlafsack, das Essen.
    Homan drosch immer und immer wieder auf den Wagen ein. Er war abgesperrt. Es gab keine Hoffnung. Er heulte laut, ohne sich darum zu scheren, ob die Polizei auf ihn aufmerksam wurde. Er trommelte mit den Fäusten auf den Van, bis seine Knöchel bluteten.
    Dann fing er an zu rennen. Homing Pigeon – Brieftaube, dachte er niedergeschlagen, während er bergab und auf eine belebte Straße lief. Er achtete weder auf Ampeln noch auf den Verkehr, prallte gegen einen Mann mitHund, rappelte sich wieder auf und rannte weiter. Du bist nicht mehr als ein Gespenst .
    Als er es nicht mehr ertragen konnte, blieb er einfach stehen und sank an Ort und Stelle – vor einer Tankstelle – zu Boden. Er konnte den Schmerz nicht mehr unterdrücken, dazu fehlte ihm die Kraft. Er senkte den Kopf, vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte bitterlich. Er weinte, bis er das Gefühl hatte, ein ganzes Meer an Tränen vergossen zu haben.
Vorlesestunde
1973
    »Schau, Grammy! Ich hab ein Y gefunden!«, rief Julia und deutete mit dem Finger.
    Marthas Freund Pete, der mit seinem Golden Retriever an diesem frischen Morgen in Harwich Port am Cape Cod vorausging, drehte sich um und sah Martha an, als wollte er fragen: »Wovon redet sie?«
    Martha lächelte und richtete den Blick auf die Straße vor ihnen mit den mit

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