Die Geschichte eines Sommers
schlechtes Beispiel war. Indem ich ihnen gezeigt hab, dass es in Ordnung ist, Dinge zu tun, von denen du nichts mitbekommst. Aber ich hab nicht darüber nachgedacht, ob das nun richtig oder falsch ist. Ich habe es einfach für notwendig gehalten. Ich werde mit den Kindern reden und ihnen sagen, wie unaufrichtig ich war. Wie abscheulich wir uns alle verhalten haben. Und ich werde ihnen sagen, dass wir es von nun an anders machen werden.«
Samuel nickte wieder.
»Aber ich möchte immer noch, dass Bernice beim Revival singt«, sagte er schließlich. »Kannst du damit umgehen? Dass sie singt?«
»Ich kann damit ungefähr genauso gut umgehen wie du damit, dass ich im ›Never Closes‹ arbeite.«
Samuel grinste verhalten. »Hast du wirklich zu ihr gesagt, du würdest sie von der Bühne zerren und ihr alle Haare ausreißen?«
Willadee legte den Kopf in den Nacken und lachte laut. »Das mit den Haaren habe ich ihr angedroht, die Bühne hat sie dazuerfunden.«
Das Abendessen sollte eine Überraschung für Samuel sein, und die Kinder halfen dabei. Bisher hatte noch keiner von ihnen je etwas gekocht, nicht einmal eine Scheibe Brot getoastet, doch nun brachte Willadee ihnen die hohe Kunst der Zubereitung von Hackbraten mit Kartoffelpüree bei. Und erfüllte währenddessen ganz nebenbei das Versprechen, das sie Samuel gegeben hatte.
Nachdem sie den Unterschied zwischen Moses-Ehrlichkeit und reiner Wahrheit erklärt und hinzugefügt hatte, man solle am besten immer die Wahrheit sagen, egal was passieren würde, zeigten die Kinder Reue.
»Wir haben ihm das Herz gebrochen«, sagte Bienville zerknirscht.
»Das stimmt«, sagte Willadee, »aber wir können es wiedergutmachen.« Dann erzählte sie ihnen, sie habe sich bei ihrem Daddy entschuldigt und fühle sich seitdem viel besser. Nachdem sie sich wieder vertragen hatten, waren auch noch einige Dinge im Obergeschoss passiert, die ihr und Samuel sehr gutgetan hatten, doch davon konnte sie den Kindern schlecht etwas sagen.
»Vielleicht sollten wir ein Poster für ihn machen, auf dem steht, dass es uns leidtut und wir uns bessern wollen«, schlug Swan vor. Im Sommer hatte sie mal in der Bibelschule gelernt, wie man aus Maisstärke, Wasser und Lebensmittelfarben Fingerfarbe herstellt, und Oma Calla würde ihnen sicher ein großes Stück von dem weißen Papier spendieren, in das sie ihren Kunden sonst immer das Fleisch einwickelte.
Blade sagte, er würde bei dem Poster mithelfen, aber als Erstes würde er ihrem Daddy ein paar Blumen pflücken. Die einzigen Blumen, die um diese Jahreszeit noch draußen wuchsen, waren zwar Chrysanthemen, aber Blüten waren Blüten. Blade erinnerte sich nur zu gut daran, wie sehr die anderen Blumen Onkel Toy glücklich gemacht hatten, und was bei ihm funktioniert hatte, musste doch auch bei ihrem Daddy funktionieren.
Nur Noble sah nicht ein, dass er etwas wiedergutzumachen hatte.
»Ich hab mich bei der ganzen Heimlichtuerei zwar auch nicht besonders gut gefühlt«, sagte er, »aber was blieb mir denn anderes übrig?«
Darauf wusste Willadee keine Antwort. Sie war einfach nur wahnsinnig froh, dass die ganze Sache mit der reinen Wahrheit erst jetzt aufgekommen war, nachdem Noble gelernt hatte, sich zu verteidigen.
»Dann könntest du ihm vielleicht zumindest sagen, wie du dich bei der Sache gefühlt hast«, schlug sie vor.
»Dann wird er mir nur wieder eine Predigt halten.«
»Und?«, sagte Willadee. »Du warst mutig genug, dich gegen diese Jungen in Emerson zur Wehr zu setzen, dann wirst du eine kleine Predigt locker ertragen können. Du brauchst ja nicht unbedingt einer Meinung mit deinem Daddy zu sein, zeig ihm nur, dass du ihn gernhast.«
Calla aß an diesem Abend in ihrem Zimmer. Sie sagte, sie brauche ein bisschen Zeit für sich. Sid war im Krankenhaus bei Toy, weshalb Bernice bei Nicey übernachtete. Es war das erste Mal seit Monaten, dass Samuel und Willadee allein mit ihren Kindern eine Mahlzeit einnahmen.
Samuel staunte über die Kochkünste der Kinder, freute sich sehr über die Blumen, und das Poster war ganz nach seinem Geschmack. Am meisten ging ihm jedoch zu Herzen, was die Kinder sagten. Noble war als Letzter von ihnen dran, und obwohl er sich keinesfalls entschuldigte, trieben seine Worte Samuel Tränen in die Augen.
»Ich hab dich lieb« war alles, was der Junge sagte.
Die Kinder hatten Onkel Toy nicht mehr gesehen, seit auf ihn geschossen worden war. Langsam wurden sie ungeduldig. Am Samstagmorgen entschied Samuel, der
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