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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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gibt, es zu beenden«, antwortete Samuel.
    Die Strickjacke eng um sich gezogen und die Arme vor dem Busen verschränkt betrachtete Calla das gemähte Feld, das Zelt und das frisch bemalte Banner, auf dem die Worte prangten, die Samuel sich vorgestellt hatte: WÄHLE NOCH HEUTE , WEM DU DIENEN WILLST . Unwillkürlich kam ihr ein Gedanke: Könnte Willadee wählen, wem sie dienen wollte, dann würden sich einige Stammgäste vom »Never Closes« eine neue Kneipe suchen müssen.
    »Ich weiß nicht, ob es dir behagt, Calla«, sagte Samuel, »aber ich muss das einfach tun.«
    »Meine Güte, Samuel«, sagte Calla, »von mir aus kannst du hier draußen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Revivals veranstalten. Wahrscheinlich werden wir uns sowieso gegenseitig Kundschaft bringen.«
    Um keinen Pfarrer in der Gegend durch das Revival zu verärgern, plante Samuel, seine Gottesdienste zu Zeiten abzuhalten, an denen es sonst keine gab. Am Montag- und Dienstagabend, am Mittwochabend nicht, weil da überall in der Umgebung Gebetsstunden stattfanden, und dann wieder am Donnerstag-, Freitag- und Samstagabend. Sonntags würden Samuel und Bernice eine der Kirchen in der Gegend besuchen und vielleicht ein oder zwei Lieder singen, und die anderen Pfarrer würden ihrerseits ihre Gemeinden auf das Revival hinweisen und sie zum Hingehen auffordern.
    Samuel hatte Handzettel drucken lassen, auf denen als Überschrift in großen Buchstaben die Worte prangten: RELIGIÖSES REVIVAL ! Darunter gab es Bilder. Eins zeigte Samuel, der eine aufgeschlagene Bibel in der Hand hielt, eins Bernice mit einem Mikrophon in der Hand und eins beide, wie sie – die Köpfe dicht beieinander, aber auch nicht zu dicht – gemeinsam sangen.
    Samuel fuhr durch das ganze County und befestigte die Zettel an Zaunpfählen und Schaufenstern und verteilte sie an Leute auf der Straße. Fast alle, mit denen er redete, versprachen zu kommen, falls sie sich nicht vorher ein Bein brachen. Ein Zelt-Revival war ein großes Ereignis, besonders wenn Sam Lake sang und fünf verschiedene Instrumente spielte und seine hübsche Schwägerin die zweite Stimme übernahm. Die Leute hatten Samuel und seine Musik nicht vergessen.
    Das Revival wurde am Montagabend eröffnet, und die Leute kamen tatsächlich in Scharen. Autos voller Menschen. Trucks voller Menschen. Busse voller Menschen aus Gemeinden des Countys und sogar noch aus angrenzenden Countys.
    Samuel stand vor dem Zelt und hieß die Leute willkommen. Schön, euch zu sehen. Danke, dass ihr gekommen seid. Seid ihr bereit für den Segen? Und die Leute sagten: Wie geht’s, Prediger? ’n Abend, Samuel. Hoffe, du hast dein Banjo mitgebracht. Bernice stand direkt neben ihm und hatte noch nie schöner und tugendhafter ausgesehen. Und allmählich wurde den beiden klar, dass das Ganze hier wirklich passierte. Samuel wurde von so starken Gefühlen ergriffen, dass er kaum an sich halten konnte. Dankbarkeit und Freude durchfluteten ihn. Und ein Gefühl, das er schon eine ganze Weile nicht mehr gespürt hatte. Das Gefühl, dass er etwas Wertvolles auf dieser Welt leistete. Die Menschen, all die guten Menschen, kamen hierher, weil sie eine Art Hunger verspürten. Vielleicht nach spiritueller Erneuerung, vielleicht nach Musik oder vielleicht auch nur nach einer Unterbrechung ihrer Alltagsroutine. Aber weshalb auch immer sie hierhergekommen waren, sie würden eine doppelte Portion von dem bekommen, wonach sie hungerten.
    Das Wetter war kühl, aber nicht richtig kalt, sodass sich die Leute nicht allzu dick angezogen und nur ein paar Decken mitgebracht hatten, damit die ganz kleinen Kinder gut gewärmt schlafen konnten. Kurz vor Beginn des Gottesdienstes traten Samuel und Bernice auf das Podium, und Samuel prüfte, ob die Instrumente richtig gestimmt waren. Während die Leute ihre Plätze einnahmen, redeten die meisten von ihnen noch durcheinander, sodass ein lautes Gemurmel herrschte. Samuel entdeckte die vier Kinder in der ersten Reihe, jeweils zwei rechts und zwei links von Calla Moses, die sich zu diesem besonderen Anlass auffallend gut gekleidet hatte. Er zwinkerte ihnen zu, und sie lächelten zurück. Sie wirkten fast genauso aufgeregt, wie er sich fühlte.
    Bernice rückte eng an Samuel heran und fragte: »Kannst du das glauben?«
    »So allmählich«, sagte er.
    Er schaltete das Mikrophon an, sagte: »Test, Test«, und als seine Stimme aus den Lautsprechern dröhnte, breitete sich im Zelt eine erwartungsvolle Stille aus. Auf eine Vorstellung

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