Die Geschichte eines Sommers
gewesen.
Bernice fühlte sich gut und unbeschwert, als sie losfuhren. Manchmal weiß man einfach, dass sich jetzt alles für einen zum Positiven entwickelt. Schon bald musste sie allerdings feststellen, dass Samuel ihr keineswegs sehnsüchtige Blicke zuwarf. Stattdessen hielt er mit Willadee in deren Schoß Händchen und machte außerdem ganz den Eindruck eines Mannes, dessen Verlangen erst kürzlich befriedigt worden war.
Etwa eine halbe Meile lang war von den Kindern tatsächlich nur wenig zu merken, dann aber beugte Noble sich vor und atmete tief durch die Nase ein.
»Was machst du da hinten, Noble?«, fragte Samuel schließlich.
»Ich sitze hier.« Was ja auch stimmte.
»Er atmet ihr Parfüm ein«, sagte Bienville. Wenn man genügend Bücher liest, lernt man, solche Dinge zu erkennen.
Noble wurde rot und gab seinem Bruder durch einen Blick zu verstehen, dass er ihn sich später vorknöpfen würde. Doch darüber machte sich Bienville keine Sorgen. Noble hatte ihn sich schon häufiger vorgeknöpft, und er hatte es immer überlebt.
»Warum benutzen Frauen eigentlich Parfüm, Tante Bernice?«, fragte Bienville.
»Um Männer anzulocken«, sagte Willadee mit schleppendem Südstaatenakzent.
»Wir möchten halt gut riechen«, korrigierte Bernice sie.
»Du riechst aber auch wirklich gut, Tante Bernice.«
»Danke, Bienville.«
»Lockst du viele Männer an?«
Willadee spürte, wie das Lachen in ihr hochstieg, und wollte es unterdrücken, aber vergeblich. Schon bald drang ein Glucksen aus ihrer Kehle. Bernice saß mit offenem Mund da, während sie fieberhaft nach einer guten und brauchbaren Antwort suchte. Sie konnte ja schlecht sagen: »Mehr als genug«, weil die Wahrheit manchmal den Absichten einer Frau zuwiderläuft. Genauso wenig konnte sie sagen: »Nur meinen Mann«, denn das hätte sich langweilig angehört, und langweilig kam überhaupt nicht infrage. Und »Ich versuche gerade, einen anzulocken«, das konnte sie nun ganz bestimmt nicht sagen.
»Ach, auf so etwas achte ich überhaupt nicht«, sagte sie schließlich.
Samuel schaffte es, keine Miene zu verziehen. Allerdings nur, weil Prediger bereits früh lernen, nicht in unpassenden Momenten zu lachen. Außerdem lernen sie von Anfang an, dass man eine Gemeinde am besten zusammenhält, indem man sie dazu bewegt, miteinander zu singen. Also fragte er Swan, ob sie irgendwelche neuen Lieder kenne.
»Muss es unbedingt ein Kirchenlied sein?«
»Nein, einfach irgendwas, bei dem alle mitsingen können.«
Swan erzählte ihm, Lovey habe ihr »My Gal’s a Corker« beigebracht und das sei doch wirklich ein gutes Lied zum Mitsingen. Normalerweise hätte Samuel so etwas abgelehnt, aber nicht heute. Heute sagte er: »Dann lass mal hören.«
Swan musste man nie lange zum Singen bitten. Für ein so kleines Mädchen hatte sie eine schöne und kräftige Stimme und keinerlei Hemmungen, jederzeit loszulegen. Sie sang eine Strophe nach der anderen, und die beiden Jungs stimmten mit ein. Gemeinsam klatschten sie in die Hände, stampften mit den Füßen und wurden immer lauter, und Willadee und Samuel forderten sie kein einziges Mal auf, leiser zu sein. So ging es, bis sie den Platz vor der Bethel Baptist Church erreichten. Die Moses waren schon immer Baptisten gewesen, zumindest diejenigen der Familie, die zur Kirche gingen, und als Willadee Samuel geheiratet hatte, war sie zur allerersten Methodistin bei den Moses geworden. Als das Auto auf dem Hof anhielt, schmetterte Noble gerade den letzten Ton des Liedes wie ein brunftiger Hirsch.
In diesem Moment beschloss Bernice Folgendes: Wann immer der sehnsüchtig erwartete Tag käme, an dem sie und Samuel endlich ein Paar wurden, würde Willadee die Kinder bekommen.
Sie stieß die Tür auf, stieg hastig aus und – ist das denn zu glauben? – trat in ein Loch hinein. Der schicke kleine Absatz ihrer schicken kleinen Schühchen brach mit einem so lauten Knacken ab, dass man es bis nach El Dorado hätte hören können.
»Alles in Ordnung?«, fragte Willadee, obwohl deutlich zu sehen war, wie sehr Bernice litt. Wenn der Absatz an einem Schuh abbricht, der ihre Füße vorteilhaft zur Geltung bringt, dann ist das für jede Frau eine schmerzliche Erfahrung.
Bernice richtete sich kerzengerade auf und humpelte zur Kirchentür. Bei jedem Schritt redete sie sich gut zu: Wenn man große Pläne hat, lässt man sich von Kleinigkeiten nicht aufhalten. Sie war an diesem Morgen hierhergekommen, um erlöst zu werden, und sie würde sich,
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