Die Geschichte eines Sommers
sorgte er dafür, dass das Pferd die Beine in die Höhe riss. Wollte man, dass das Tier herumtänzelte und dabei den Kopf in einem eleganten, aber unnatürlichen Winkel hielt, dann brachte Ras es dazu, dass es den ganzen Tag herumtänzelte und kein einziges Mal mit dem Kopf nickte. Wollte jemand ein Pferd für Kinder, dann machte er aus dem Pferd ein Tier, auf dem selbst ein Dreijähriger reiten konnte.
Allerdings waren die Pferde, die Ras abgerichtet hatte, nur deshalb so gefügig, weil sie keinen eigenen Willen mehr hatten. Stattdessen hatten sie Angst vor Menschen, und ihr Wille war gebrochen. Wenn Ras mit ihnen fertig war, waren sie glänzend gestriegelt, aber ihr Blick war leer, und sie begannen häufig zu zittern, wenn man sie streichelte. Manchmal stellten die Besitzer Ras deswegen zur Rede, aber er hatte immer alle möglichen Erklärungen für das Verhalten. Das Wetter schlug gerade um, und man wisse doch, wie verrückt Pferde manchmal spielten, wenn sich das Wetter änderte. Oder sie seien nicht mehr an den Besitzer gewöhnt, nachdem sie diesen ein paar Monate nicht gesehen hatten, aber das würde sich bald wieder geben. Oder sie ahnten bereits, dass sie gleich transportiert würden, und Pferde hassten das bekanntlich. So in diesem Sinne.
Ras führte nie längere Gespräche über derart triviale Dinge. Die Leute waren zu ihm gekommen, weil sie eine Leistung erwarteten, also beeilte er sich, ihnen zu zeigen, was ihr Pferd nun konnte, nachdem er so eifrig mit dem Tier gearbeitet hatte.
Er stieg dann auf und ritt ein bisschen herum, ließ das Pferd stehen bleiben und wieder loslaufen, rückwärts- und seitwärtsgehen. Er ließ es traben und in verschiedenen Galopparten laufen. Handelte es sich um ein Cutting-Pferd, trieb er ein paar Kälber auf den Reitplatz und führte das Können des Tieres vor, was den Besitzern immer sehr gefiel. Kaum etwas auf der Welt ist schöner und eindrucksvoller als der komplizierte Tanz eines edlen Pferdes, wenn es ein Kalb von der Herde trennt.
Irgendwann ließ Ras dann die Zügel los, wickelte sie um den Sattelknopf, legte die Hände auf die Oberschenkel und ließ das Pferd allein weitermachen. Am Ende der Vorführung setzte er immer ein Kind in den Sattel. Wenn die Besitzer keins dabeihatten, musste eins von seinen herhalten. Ras sagte ihm dann, was es tun sollte, und wiederholte mit ihm einen Teil der Vorführung. Zu diesem Zeitpunkt machte sich niemand mehr Gedanken darüber, ob das Pferd einen leeren Blick hatte oder nicht. Stattdessen klopften die Besitzer Ras auf die Schulter, fragten ihn, wie er das mache, und drückten ihm sein Geld in die ausgestreckte Hand.
»Pferde sind klug«, erklärte Ras den Leuten lächelnd. »Man muss einem Pferd nur zeigen, was man von ihm will, dann macht es das oder bemüht sich bis zum Umfallen.«
Bisher war noch keines der Pferde, das man Ras zum Abrichten gebracht hatte, gestorben, doch bei einigen hatte nicht viel gefehlt.
Wollte man, dass Ras Ballenger mit einem Pferd arbeitete, so musste man es zu ihm bringen und es ihm für einige Zeit überlassen. Auf diese Weise konnte er sich intensiv mit ihm beschäftigen, und außerdem hatte er alles vor Ort, was er brauchte.
Die Pferdebesitzer hatten natürlich keine Ahnung, dass zu Ras’ Hilfsmitteln auch eine Nasenbremse, eine Peitsche und eine Stelle in der Scheune gehörten, wo man das Tier von zwei Seiten so festbinden konnte, dass es sich keinen Zentimeter mehr in irgendeine Richtung bewegen konnte. Dort konnte man es stunden- oder auch tagelang ohne Futter und Wasser stehen lassen, bis es dankbar und gefügig war, wenn man es endlich freiließ und ihm etwas zu trinken gab. Es gab unzählige Methoden, ein Pferd zu quälen, und Ras Ballenger kannte sie alle.
Ungefähr zur gleichen Zeit, als Samuel Lake in der Kirche saß und sich fragte, was nun aus ihm werden sollte, stand ein großer weißer Wallach namens Snowman bei Ras Ballenger im Pferch und fragte sich vermutlich das Gleiche. Ras stand vor dem Pferch, lehnte sich gegen das hölzerne Geländer und beobachtete, wie ihn das Pferd beobachtete.
So standen die beiden nun schon seit zwei Stunden und beobachteten sich gegenseitig, seit der Besitzer, ein Mann namens Odell Pritchett aus der Gegend von Camden, das Tier zu Ras gebracht hatte. Odell hatte erklärt, Snowman akzeptiere bereits Sattel und Zaumzeug, sei aber noch nicht geritten worden, da er ein bisschen eigensinnig, ein bisschen unberechenbar wäre.
Ras hatte Odell
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