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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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war sich nicht sicher, was das Wort »Opfer« heutzutage bedeutete. In biblischen Zeiten war damit gemeint gewesen, dass man etwas Kostbares auf einem Altar opferte, um Gott günstig zu stimmen. In Abrahams Fall war das Isaak gewesen, doch Gott hatte ein Opfertier geschickt, sodass Abraham seinen Sohn dann doch nicht hatte töten müssen. Swan hatte insgeheim immer gefunden, dass sich das ein bisschen zu bequem anhörte, aber natürlich sprach sie das nicht laut aus. Man stellt nicht die Bibel infrage, wenn man irgendwann in den Himmel kommen will. Außerdem, wenn man erst einmal anfängt, Dinge zu hinterfragen, weiß man am Ende nicht mehr, was richtig ist und was nicht.
    Wenn Samuel aber von ihnen verlangte, sich nicht zu beklagen, bedeutete das doch, dass es durchaus einen Grund zum Klagen geben könnte. Es hörte sich plötzlich doch nicht mehr so verlockend an wie noch Minuten zuvor, nicht mehr die Tochter eines Predigers zu sein. Am meisten beunruhigte sie jedoch der nagende Gedanke, dass Samuel bei Gott in Ungnade gefallen sein könnte. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, wie das passiert sein sollte. Niemand bemühte sich so sehr, das Richtige zu tun, wie Sam Lake, das musste doch auch Gott wissen.
    Natürlich wartete Blade nicht, bis Swan zurück ins Zimmer kam. Zu dem Zeitpunkt hatte er sich längst hinausgeschlichen und war nach Hause gelaufen. Seiner Mama erzählte er, er habe am Bach gespielt, und die antwortete, da müsse er aber bis nach Alaska gelaufen sein, denn als sie ihn vor einer halben Stunde gerufen hätte, habe er nicht geantwortet. Und seit wann er überhaupt draußen spielen ginge, bevor der Rest der Familie auch nur die Augen geöffnet hatte?
    Geraldine hatte im Wohnzimmer das Bügelbrett aufgestellt – sie verdiente sich ein bisschen Geld mit Bügelarbeiten dazu – und rauchte eine Pall Mall. Ihr Gesicht schimmerte in ungefähr fünf verschiedenen Farben, hauptsächlich in Blautönen, und ihr Kinn war voller Schnittwunden und Schrammen. Letzte Nacht hatte Blades Daddy seiner Mama beibringen wollen, wie man sich zu benehmen hat, und Blade hatte das nicht ausgehalten und war abgehauen. Es war immer schrecklich, wenn sein Daddy irgendjemandem etwas beibringen wollte. Manchmal, wenn es wieder so weit war, tat Blade so, als würde er schlafen, doch letzte Nacht war das unmöglich gewesen. Ras hatte Geraldine an den Haaren durch die Küche gezerrt und mit einem Pfannenwender aus Metall verprügelt. Geraldine hatte zunächst geweint und ihn angefleht aufzuhören, dann hatte sie sich gewehrt, was immer eine schlechte Idee war. Blade hatte eine Zeit lang versucht, die Geräusche auszublenden, war aber schließlich aus dem Fenster geklettert.
    Zuerst hatte er sich neben den Brunnenschuppen gekauert und mit den Fingern Bilder in die feuchte Erde gezeichnet. Das tat er häufig in solchen Situationen. Er brauchte nicht zu sehen, was seine Hände taten. Um etwas Bestimmtes zu zeichnen, musste er es nicht einmal vor sich haben. Er hatte schon immer im Dunkeln gemalt, einfach so, ohne zu überlegen. Da er trotzdem noch immer alles hatte hören können, hatte er den Hof überquert und war dann den Pfad entlanggegangen, bis es um ihn herum ruhig geworden war. Und dann war das Mädchen gekommen.
    Blade wusste nicht genau, warum er ihr eigentlich gefolgt war. Vielleicht weil er das Gefühl gehabt hatte, dass dort, wo sie hinging, nichts Schlimmes passieren würde. Sie schien vor nichts Angst zu haben, außer als sie hingefallen war. Da hatte sie einen Moment lang furchtbare Angst gehabt, so als hätte sie geglaubt, der Teufel wäre hinter ihr her. Aber nachdem sie sich beruhigt hatte, hatte sie nichts mehr erschüttern können.
    Jedenfalls war er froh, ihr gefolgt zu sein. In Gedanken nahm er Swan Lake bereits für sich in Anspruch. Sie war eine sichere Zuflucht und noch mehr, etwas, das er noch nicht verstehen oder in Worte fassen konnte. Er wusste nur, dass er sich dieses Gefühl bewahren wollte, das er letzte Nacht empfunden hatte, um sich daran zu wärmen wie an einer kuscheligen Decke in einer kalten Nacht.

9
    Während der nächsten Tage fühlte sich Bernice entsetzlich. Zum einen stellte sie sich immer wieder vor, dass die gesamte Familie von ihrem hysterischen Anfall in besagter Nacht wusste. Das heißt alle – außer Toy. Toy war es im Allgemeinen lieber, nichts über die Dinge zu wissen, die ihm unangenehm sein oder ihn belasten könnten. Den Wesenszug hatte er sich seit jener

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