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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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versichert, dass er sein Möglichstes tun würde. Normalerweise brauche so ein Pferd nur ein wenig Erfahrung – allerdings verschwieg er, was für eine. Und besondere Aufmerksamkeit. Auch die Aufmerksamkeit, die er ihm angedeihen lassen würde, führte er nicht weiter aus. Er würde jeden Tag mit Snowman arbeiten, konsequent sein, ihm zeigen, was von ihm erwartet wurde, und hätte ihn im Handumdrehen auf Vordermann gebracht. Auch das erklärte er selbstverständlich nicht näher.
    Im Augenblick tat Ras das, was er immer als Erstes mit einem neuen Pferd tat. Er flößte dem Tier Angst ein. Wenn es sein musste, würde er den ganzen Tag vor dem Pferch stehen bleiben, um dem Pferd klarzumachen, dass es über alles, was von nun an passierte, keinerlei Kontrolle haben würde. Ein so verunsichertes Pferd machte Fehler. Und ein Pferd, das Fehler machte, konnte man bestrafen. An dem Punkt begann Ras Ballenger die Arbeit so richtig Spaß zu machen.
    »Darüber denkst du jetzt wohl nach, was?«, fragte er mit leiser Stimme und lachte in sich hinein.
    Snowman ging auf die andere Seite des Pferchs und drehte den Kopf weg.
    »Du denkst wohl, dass du größer und schneller bist als ich und dass du vier Beine hast und ich nur zwei«, fuhr Ras fort. Seine Stimme klang täuschend freundlich. »Du fragst dich wahrscheinlich, ob es schwer oder leicht für dich werden wird, nicht wahr, Snowman?«
    Er betrat den Pferch, ging zu dem Pferd hinüber, packte es am Halfter und hakte einen Führstrick ein, der an einem massiven Pfosten hing, der in den Boden einzementiert war.
    »Nun ja, ich kann dir schon mal verraten, dass es nicht leicht werden wird, Snowman. Denn wenn’s leicht wäre, würde es keinen Spaß machen.«
    Als Bruder Homer Nations aufstand, um ihn anzukündigen, wählte er als seine ersten Worte genau die, die Samuel befürchtet hatte.
    »Liebe Gemeinde, wir haben heute Morgen einen ganz speziellen Gast bei uns«, verkündete Bruder Homer. »Einen der besten und gottesfürchtigsten Männer, die kennenzulernen mir je vergönnt war. Samuel Lake. Steh auf, Samuel, damit dich alle sehen können.«
    Samuel erhob sich. Es war ihm unangenehm, aber er tat es trotzdem. Er ließ seinen Blick über die Leute um ihn herum schweifen, lächelte sie an und nickte ihnen zu, und sie lächelten und nickten zurück. Bruder Homer strahlte, dann räusperte er sich, um zu signalisieren, dass er noch mehr als das zu sagen hatte. Gehorsam wandte die Gemeinde ihm wieder ihre Blicke zu.
    »Normalerweise haben wir nicht die Ehre, Samuel in unseren Gottesdiensten bei uns zu haben, doch tragische Umstände haben ihn heute Morgen zu uns geführt. Ich weiß, Samuel, dass du hier bist, um der Familie deiner Frau in ihrer Trauer beizustehen. Ich möchte nur sagen, dass ihr alle unser tiefstes Mitgefühl habt und wir aus ganzem Herzen für euch beten.«
    »Danke, Bruder Homer«, sagte Samuel. »Das wissen wir zu schätzen.« Dann fügte er hinzu: »Ich hoffe nur, dass ihr nicht überdrüssig werdet, mich zu sehen, denn ich habe beschlossen, mit Willadee und den Kindern hierher zurückzuziehen.«
    »Der Herr sei gelobt!«, rief Bruder Homer. »Und wo wirst du predigen?«
    Samuel betrachtete die Leute um sich herum. Menschen, mit denen er aufgewachsen war, die ihn achteten und zu ihm aufschauten. Mit seiner ruhigen, klangvollen Stimme sagte er: »Ich habe in diesem Jahr keine eigene Gemeinde. Ich werde überall predigen, wo Gott mir eine Kanzel gibt.«
    Die Leute waren wie vom Donner gerührt. Wenn Sam Lake keine Gemeinde hatte, bedeutete das, dass die Methodistenversammlung es nicht für richtig befunden hatte, ihm eine zuzuteilen. Und dafür musste es einen Grund geben. Methodisten mochten zwar in manchen Dingen unrecht haben, zum Beispiel darin, dass sie Andersgläubige nicht vom Abendmahl ausschlossen und nicht daran glaubten, alles sei vorherbestimmt, aber sie schienen doch ihre Prediger anständig zu behandeln. Gewiss würden sie niemanden so einfach entlassen wie einen Fabrikarbeiter während einer wirtschaftlichen Flaute. Es musste irgendetwas Schlimmes passiert sein, das man ungerechterweise Samuel angelastet hatte.
    Zu diesem Zeitpunkt kam niemand, zumindest nicht ernsthaft, auf den Gedanken, Samuel selbst habe etwas Falsches getan. Solche Überlegungen würden erst später gehegt werden. Im Augenblick standen noch alle Anwesenden auf Samuels Seite.
    Bruder Homers Predigt an diesem Tag war voller Hölle und Fegefeuer, ein Aspekt der Religion, über den

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