Die Geschichte von Liebe und Sex
»gehen lassen« und ihren Liebesschmerz über alles andere stellen? Der junge Goethe klagt jedoch das Recht auf die Tiefe der Empfindung ein und schreibt in seinem Vorwort: »Ihr könnt seinem Geiste und Charakter eure Bewunderung und Liebe, seinem Schicksal eure Tränen nicht versagen.«
Die Freiheit ist neben der Liebe das große Thema von Werther *
»Die meisten verarbeiten den größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bisschen, das ihnen von Freiheit übrig bleibt, ängstigt sie so, dass sie alle Mittel aufsuchen, um es loszuwerden … Dass ihr Menschen, rief ich aus, um von einer Sache zu reden, gleich sprechen müsst: das ist töricht, das ist klug, das ist gut, das ist bös! Und was will das alles heißen? Habt ihr deswegen die inneren Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wisst ihr mit Bestimmtheit die Ursachen zu entwickeln, warum sie geschah, warum sie geschehen musste? Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urteilen sein.«
|118| Und über die ersten Begegnungen mit Lotte, die zur Liebe seines Lebens wird, lässt Goethe den jungen Werther berichten:
»Kurz und gut, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht … Einen Engel! … Ach, wie mir das durch alle Adern läuft, wenn mein Finger unversehens den ihrigen berührt, wenn unsere Füße sich unter dem Tisch begegnen! Ich ziehe zurück wie vom Feuer, und eine geheime Kraft zieht mich wieder vorwärts …«
Auch der junge Werther hat viele Künstler nach Goethe angeregt. Ein Sensationserfolg wird die Modernisierung des ostdeutschen Schriftstellers Ulrich Plenzdorf (* 1934) unter dem Titel Die neuen Leiden des jungen W ., die 1972/73 in der DDR und BRD erscheint und in beiden deutschen Staaten, was damals eher ungewöhnlich ist, viel Anerkennung erfährt – sowohl von der »normalen Bevölkerung« als auch den die jeweiligen Staaten repräsentierenden Stellen. Theater in beiden Deutschlands führen die Geschichte mit großem Erfolg auf und Ulrich Plenzdorf erhält mehrere Preise.
Freiheit und Liebe … Plenzdorf gelingt eine Neufassung, die nicht nur bei jungen Leuten ankommt: Werther heißt bei ihm Edgar Wibeau und ist ein junger Mann, der genug hat von einer Lehre bei VEB Hydraulik Mittenberg. Er haut von zu Hause ab und zieht in eine leer stehende Laube, wo er auf dem Klo eine zerfledderte Reclam-Ausgabe des »alten Werther« findet. Wenig später lernt er die Kindergärtnerin Charlotte kennen, die er Charlie nennt und in die er sich hoffnungslos verliebt, obwohl sie längst einen anderen hat. Als klar ist, dass Charlie sich nicht für ihn entscheidet, stürzt er sich in die verrückte Entwicklung einer hydraulisch betriebenen Farbspritze, die in die Luft fliegt, als er sie das erste Mal in Gang setzt, und ihn tötet. Anders als Werther entscheidet er sich nicht für den Tod, sondern für die Aktion und neue Ideen, auch wenn es am Ende schiefgeht.
|119| Edgar Wibeau, 17 Jahre, kommentiert den »alten Werther«, Mittenberg in der DDR, um 1970: **
»Der Kerl in dem Buch, dieser Werther, macht am Schluss Selbstmord. Gibt einfach die Löffel ab. Schießt sich ein Loch in seine olle Birne, weil er die Frau nicht kriegen kann, die er haben will, und tut sich ungeheuer leid dabei. Wenn er nicht völlig verblödet war, musste er doch sehen, dass sie nur darauf wartete, dass er was machte, diese Charlotte. Ich meine, wenn ich mit einer Frau allein im Zimmer bin und wenn ich weiß, vor einer halben Stunde oder so kommt keiner da rein, Leute, dann versuch ich doch alles. Kann sein, ich handle mir ein paar Schellen ein, na und? … Und dieser Werther war … zigmal mit ihr allein. Schon in diesem Park. Und was macht er? Er sieht ruhig zu, wie sie heiratet. Und dann murkst er sich ab. Dem war nicht zu helfen.«
*
Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther (1774), Stuttgart 1976, S. 10, 52, 19, 43.
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Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W ., Rostock/Frankfurt am Main. 1973, S. 36 – 37.
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|120| Jane und Tarzan
Das exotische erste Mal
1450 bis heute
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Kolonialistische Fantasien: Die Schöne und der Wilde
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