Die Geschichte von Liebe und Sex
heutigen Kanada angelandeten Franzosen beobachteten zuerst »männliche Indianer, die sich wie Frauen kleiden und deren Aufgaben wahrnehmen«. Sie nannten sie Berdaches, ein Wort, dass aus dem Orient stammte und für Sexsklaven und später auch für jüngere Partner in homosexuellen Beziehungen gebraucht wurde. Die meisten einheimischen Völker Nordamerikas dagegen bezeichneten jene besonderen männlichen oder weiblichen Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die ihr Geschlecht tauschen konnten, anerkennend als »Zwei-Geister« (englisch: Two-Spirits).
Sie wurden bei Konflikten zwischen Männern und Frauen als Vermittler angerufen, standen im Ruf, besondere Kräfte zu besitzen, und waren als Heiler für Verwundete und Kranke gefragt. Etwa im Alter von zehn Jahren erkannten Mädchen oder Jungen, ob ihre Seele eher dem anderen Geschlecht entsprach, zum Beispiel durch Träume, in denen der Mond ihnen Botschaften sandte. Bei Unsicherheit konnten die Erwachsenen ihnen helfen, ihre transsexuelle Bestimmung zu erkennen, indem sie Kinder geschlechtstypische Spielzeuge wählen ließen. Entschied sich ein Junge für das Tuch, in dem Babys getragen wurden, oder ein Mädchen für Pfeil und Bogen, war die Botschaft des Mondes angekommen. Oft galten »Zwei-Geister« auch als Glücksbringer für eine Familie.
Sexuell konnten sie sowohl als Zweitfrauen oder -männer Partner des gleichen Geschlechts heiraten, aber auch ohne feste sexuelle Beziehung bleiben oder sich bisexuell (mal mit einer Frau, mal mit einem Mann) betätigen. Es wird von einigen »Zwei-Geistern« berichtet, die als Männer |135| gefürchtete Krieger waren, nach dem Kampf jedoch wieder Frauenkleider anzogen und zur Kindererziehung zurückkehrten.
Viele wichtige Informationen über diese besondere Tradition fehlen bis heute. Das liegt vor allem daran, dass die christlichen Europäer die »Zwei-Geister« systematisch ermordeten. Die Missionare hielten die »weibischen Männer« (nach dem biblisch-sündhaften Sodom auch »Sodomiten« genannt) für schwere Sünder, verfolgten sie und taten auch ansonsten alles, um den »Indianern« ihren »Heidenglauben« auszutreiben. Etwa ab 1900 war die Tradition der »Zwei-Geister« tatsächlich so gut wie »ausgerottet«.
Erst Befreiungsbewegungen sexueller Minderheiten in jüngster Zeit haben diese verlorenen Traditionen wiederentdeckt und historische Forschungen begonnen. Im kanadischen Quebec trug eine Zeitung für Lesben und Schwule eine Weile den Titel Le berdache . Innerhalb des Native American Movement, in dem sich die Überlebenden der einheimischen Völker Amerikas heute organisieren, ist die Tradition der »Zwei-Geister« dagegen umstritten. 500 Jahre Unterdrückung haben ihre Spuren hinterlassen, und viele fürchten, dass eigene traditionelle Werte in der US-amerikanischen Gesellschaft auf Ablehnung oder gar Hass stoßen könnten.
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Pioniere des Sex: Margaret Sanger und Alfred Kinsey
Die USA stehen für Widersprüche und Extreme: Einerseits gibt es hier die größte Pornofilm-Industrie der Welt, die Werbung arbeitet mit unverhüllt sexuellen Botschaften, und in Las Vegas lassen sich rund 260 000 Paare jährlich in Schnell-Hochzeiten trauen. Andererseits predigen konservative Christen in Kirchen, an Straßenecken und im Fernsehen sexuelle Enthaltsamkeit vor und außerhalb der Ehe, verüben Abtreibungsgegner Anschläge auf Abtreibungskliniken und wurden seit 1994 rund 10 000 homosexuelle Männer aus der Armee entlassen, weil sie gegen die Vorschrift verstießen, ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten. Prostitution ist in allen Bundesstaaten (außer Nevada) gesetzlich verboten. Offizielle Statistiken gehen gleichwohl davon aus, dass in den USA rund 450000 Frauen hauptberuflich |136| »auf den Strich« gehen. Und obwohl in Umfragen die allermeisten US-Amerikaner angeben, die Ehe sei für sie die ideale Form der Partnerschaft, ist die Scheidungsrate so hoch wie nirgendwo sonst auf der Welt.
Zahllose Hollywood-Filme haben immer wieder ihr Bestes getan, um das Bild der glücklichen, gesunden und bis in die 1970er-Jahre auch ausschließlich weißen Kleinfamilie zu zeichnen. Für jede neue Generation wurden passende Traumpaare produziert, wie in den 1930er- und 1940er-Jahren die Tänzerin Ginger Rogers (1911 – 95) und ihr Tanzpartner Fred Astaire (1899–1987).
Ab Ende der 1950er-Jahren waren dies vor allem Doris Day (geboren als Mary Kappelhoff, * 1924) und Rock Hudson (geboren als Roy Scherer,
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