Die Geschichte von Liebe und Sex
Nicht-Juden im »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes« unter Strafe gestellt. Bis 1940 wurden knapp 2 000 Männer als »Rassenschänder« verurteilt, meist zu Zuchthaus, in einigen Fällen auch zu Todesstrafen. Frauen gab man der öffentlichen Schande preis, wobei sie geschlagen und angespuckt werden durften.
|148| Esther Bejerano (* 1924) berichtet über ihre erste Liebe 1938 * :
»Im Sommer 1938 lernte ich meinen ersten Freund kennen. Er hieß Friedel und war schon 16. Er war jedoch kein Jude. Seine Eltern waren begeisterte Nazis. So mussten wir unsere Freundschaft ihnen gegenüber streng geheim halten. Eines Tages jedoch sagte er zu mir: ›Esther, es macht mir gar nichts, mit dir gesehen zu werden! Ich werde immer zu dir stehen, wenn du es nur willst.‹ Das imponierte mir sehr, und ich mochte ihn noch mehr. Aber die Angst, dass seine Eltern doch von uns erfahren könnten, ließ mir keine Ruhe. Auch meine Eltern waren in Sorge und rieten mir, mich nicht mehr mit ihm zu treffen, damit er keinen Ärger bekäme. Friedel wollte von all dem nichts wissen. Er besuchte mich weiter bis zu jener schrecklichen Pogromnacht im November 1938, als die Nazis die Synagogen in Brand steckten und viele jüdische Männer verhafteten, so auch meinen Vater. Als er freikam, flohen wir aus Saarbrücken, kamen aber aus Deutschland nicht mehr heraus.«
Im Jahr 1936 wurde in Berlin die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung eingerichtet. Sowohl homosexuelle Männer als auch Frauen, die abgetrieben hatten, wurden als »bevölkerungspolitische Blindgänger« bezeichnet, die nicht dazu beitrugen, dem »Führer« Soldaten und Mütter zu schenken. Bis 1945 wurden 50 000 Männer als Homosexuelle verurteilt, etwa 10 000 von ihnen wurden in Konzentrationslager deportiert, wo die meisten von ihnen elendig umkamen. Während viele damals verfolgte Menschen nach dem Ende der NS-Zeit 1945 aufatmen konnten, wurden homosexuelle Männer und Frauen weiter verfolgt und mussten sich nach wie vor verstecken. Einige Männer wurden erneut verhaftet, um ihre »Reststrafe« abzubüßen. Auch eine Reform der Abtreibungsgesetze ließ noch lange auf sich warten.
|149| Stefan T. Kosiński (1925 – 2003) berichtet über seine erste Liebe 1941 **
»Ich war 14, als 1939 der Zweite Weltkrieg mit einem Überfall der Deutschen auf Polen begann. Ich sollte nach den Sommerferien auf die Oberschule kommen, aber da hatten die Deutschen auch schon unsere Stadt Toruń besetzt und polnische Kinder durften keine Oberschulen mehr besuchen. Mein Vater musste als Zwangsarbeiter nach Deutschland. Mein älterer Bruder Mikolaj schloss sich den polnischen Partisanen an. Es war etwa in dieser Zeit, als ich merkte, dass ich mich mehr von Jungen als von Mädchen angezogen fühlte. Ich sprach mit niemandem darüber.
Erst als ich 16 war, geschah etwas, das mein ganzes Leben verändern sollte: Ich verliebte mich eines Abends in einen bei uns stationierten, deutsch-österreichischen Soldaten, der nur wenig älter als ich war. Natürlich konnten wir uns nur heimlich treffen. Wir fanden eine verlassene Scheune am Stadtrand, wo wir uns das erste Mal richtig liebten. Ein halbes Jahr später wurde er plötzlich an die Ostfront mit seiner Kompanie verlegt. Einmal schrieb ich ihm einen Liebesbrief, der vermutlich von einem Vorgesetzten gefunden wurde. Ich wurde verhaftet und mehrere Tage verhört und gefoltert. Sie schlugen mich, damit ich noch andere Homosexuelle verraten sollte. Aber ich kannte ja gar keine. Mehrmals wurde ich bewusstlos geschlagen. Später verurteilte mich ein deutsches Gericht nach Paragraph 175, und ich kam bis zum Kriegsende in verschiedene Konzentrationslager.
Dass ich überlebt habe, ist ein Wunder. Was aus meinem ersten Freund Willi geworden ist, weiß ich bis heute nicht. Vermutlich ist er an der Ostfront als Soldat umgekommen oder als Homosexueller von einem Kriegsgericht erschossen worden. Wenn er überlebt hätte, hätte er sich nach dem Krieg sonst bestimmt bei mir gemeldet …«
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Esther Bejerano in einem Interview mit Lutz van Dijk in Hamburg im Jahr 1989 (siehe auch: van Dijk, Lutz: Die Geschichte der Juden , Frankfurt/M. 2001, S. 144 – 146). Esther Bejerano wurde später ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und überlebte die NS-Zeit nur knapp.
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Die Geschichte von Stefan T. Kosiński wird erzählt in: Lutz van Dijk: Verdammt starke Liebe – die wahre Geschichte von Stefan K. und Willi G ., München 2005. Alle
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