Die Geschichte von Liebe und Sex
Bertolt Brecht (1898 – 1956) beschreibt im Jahr 1920, im Alter von 22 Jahren, die »Lauer nach dem Sommer« in einem Gedicht so: **
»Psalm im Frühjahr
Jetzt liege ich auf der Lauer nach dem Sommer, Jungens. Wir haben Rum eingekauft und auf die Gitarre neue Därme aufgezogen. Weiße Hemden müssen noch verdient werden.
Unsere Glieder wachsen wie das Gras im Juni und Mitte August verschwinden die Jungfrauen. Die Wonne nimmt um diese Zeit überhand.
Der Himmel füllt sich Tag für Tag mit sanftem Glanz und seine Nächte rauben einem den Schlaf.«
Das erste demokratische Parlament konstituiert sich im Januar 1919 in Weimar, die erste Republik bis zur Machtübernahme durch Hitlers Nazis 1933 wird deshalb auch Weimarer Republik genannt. Die neue Verfassung gesteht erstmals in Deutschland Frauen das aktive und passive Wahlrecht zu (sie können wählen und gewählt werden). Beinahe 80 Prozent der Frauen nehmen dieses Recht bei den ersten Wahlen wahr. Und fast 10 Prozent der Abgeordneten des ersten Parlaments sind daraufhin weiblich. Nach diesen ersten freien Wahlen in Deutschland gibt es mehr Freiheiten für den Einzelnen als je zuvor: Nicht nur Frauen, auch Jugendliche und viele andere bislang kaum gehörte gesellschaftliche Gruppen schließen sich zu verschiedenen sozialen, politischen und religiösen Bewegungen zusammen und tragen zur gesellschaftlichen Vielfalt bei.
So gründet 1919 in Berlin der Arzt Dr. Magnus Hirschfeld (1868 – 1935) das erste Institut für Sexualwissenschaft. Ab 1921 werden auf seine Initiative |153| Internationale Tagungen für Sexualreform unter anderem in Berlin, Kopenhagen und London durchgeführt. Magnus Hirschfeld reist zu Vortragsreisen in die Sowjetunion (1926) und die USA (1930). Wissenschaftlich wie politisch setzt er sich für Aufklärung, Eheberatung und die Rechte sexueller Minderheiten ein. Vor dem Reichstag spricht er sich gegen die bestehenden Gesetze aus, die einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern unter Strafe stellen.
Von Anfang an arbeiten Magnus Hirschfeld und der Vorstand des Instituts – das Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee – auch mit Vertreterinnen der Frauenbewegung zusammen. So gehört dem Komitee bereits ab 1912 auch die Hochschuldozentin, Frauenrechtlerin und Pazifistin Helene Stöcker (1869 – 1943) an. Kurz nach der Machtergreifung der Nazis flieht Helene Stöcker Ende Februar 1933 gerade noch rechtzeitig in die Schweiz. Im Mai 1933 wird das Institut für Sexualwissenschaft von Nazistudenten geplündert und alle wissenschaftlichen Bücher und Archive verbrannt. Magnus Hirschfeld befindet sich auf einer Auslandsreise, von der er nicht mehr nach Deutschland zurückkehrt. Er stirbt 1935 in Frankreich.
Helene Stöcker verteidigt die Liebe als »einzig legitime Grundlage sexueller Beziehungen« in ihrem Roman Liebe (1922):
Mit 23 Jahren kommt sie aus Elberfeld nach Berlin, um hier ein Lehrerinnenseminar zu besuchen (das einzige damals für Frauen zugängliche Studium). Sie engagiert sich gleichzeitig in der von Bertha von Suttner (1843 – 1914) gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft und setzt sich dafür ein, dass Frauen auch zur Universität zugelassen werden. Sie studiert später selbst in London und Bern, wo sie zum Doktor der Philosophie promoviert. Ab 1901 unterrichtet sie an der Lessing-Hochschule in Berlin. Im Jahr 1905 – im Alter von 36 Jahren – gründet sie mit Frauen aus der Arbeiterbewegung den Bund für Mutterschutz und Sexualreform, der sich vor allem für ledige Mütter und ihre Kinder einsetzt, die damals noch gesellschaftlich stark geächtet sind. Später setzt sich der Bund auch für Empfängnisverhütung ein. Die Begeisterung bürgerlicher Frauenvereine für den Ersten Weltkrieg lehnt sie ab.
Seit 1905 lebt sie mit dem Rechtsanwalt Bruno Springer zusammen – eine freie Liebesgemeinschaft, die bis zum Tode ihres Geliebten 1931 andauert. In |154| ihrem einzigen Roman mit dem Titel Liebe (1922) beschreibt sie das Leitbild einer selbstbewussten Frau, die wirtschaftlich unabhängig ist und eine sexuelle Beziehung allein aus Liebe eingeht.
Ab 1922 wird sie in den Vorstand der Deutschen Liga für Menschenrechte gewählt, 1925 nimmt sie an einer Konferenz für Geburtenregelung in New York teil und 1927 reist sie zur Feier des 10. Jahrestages der Russischen Revolution nach Moskau. Im Jahr 1930 wird sie aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Bundes für Mutterschutz und Sexualreform zur
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