Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
an. Ein Finger war’s jedenfalls nicht. Von ihrem leichten Bieratem stellten sich die feinen Härchen an seinen Ohren auf. Glenn jedoch wurde niemals von ihr angerührt. Streng genommen wurde Glenn von niemandem angerührt. Irgendwie bekam er das hin: Er hatte um seine Person herum eine unsichtbare Flugverbotszone ausgerufen.
»Ihr beiden«, sagte Rhoda jedes Mal. »Ihr solltet ein bisschen rausgehen, frische Luft schnappen. Spielt doch mal ne Runde Fangen.« Glenn nahm diese mütterlichen Einmischungsversuche nicht weiter zur Kenntnis und Zeb auch nicht: Glenns Mutter war zwar noch nicht völlig verwelkt, aber für seine Begriffe weit über das Verfallsdatum hinaus, wobei, zur äußersten Not, wenn er zum Beispiel zusammen mit ihr auf einer Rettungsinsel gestrandet wäre … Aber war ja nicht so, also ignorierte er die kleinen Stupser mit der Brustwarze und die gehauchten Signale und konzentrierte sich auf die blutige Hälfte von Blut und Rosen : also darauf, die Bevölkerung des antiken Karthago auszurotten und Salz auf den Boden zu streuen, Belgisch-Kongo zu unterjochen und alle erstgeborenen ägyptischen Babys abzuschlachten.
Aber wozu es bei den Erstgeborenen belassen? Einige der Grausamkeiten beim virtuellen Blut und Rosen sahen vor, dass die Babys in die Luft geworfen und aufgespießt wurden, oder in brennende Öfen geworfen, oder mit dem Kopf gegen eine Steinmauer geschmettert. »Tausche tausend Babys gegen den Palast von Versailles und das Lincoln Memorial«, sagte er zu Glenn.
»Vergiss es«, sagte Glenn. »Außer ich krieg Hiroshima dazu.«
»Hast du sie noch alle?! Willst du, dass diese Babys qualvoll zugrunde gehen?«
»Das sind keine echten Babys. Es ist ein Spiel. Dann sterben sie halt, und das Inkareich bleibt erhalten. Mit der ganzen geilen Goldkunst da.«
»Dann war’s das mit den Babys«, sagt Zeb. »Du herzloser kleiner Scheißer. Pfft. Da. Aus. Und übrigens: Ich setz jetzt meine Jokerpunkte ein, um das Lincoln Memorial in die Luft zu jagen.«
»Na und?«, sagt Glenn. »Ich hab immer noch Versailles, und die Inkas. Gibt sowieso zu viele Babys. Was meinst du, was die für einen CO 2-Fußabdruck hinterlassen.«
»Ihr seid schrecklich, ihr beiden«, sagte Rhoda und kratzte sich. Hinter seinem Rücken hörte Zeb das Geräusch ihrer Fingernägel wie Katzenkrallen auf Filz. Er fragte sich, wo genau sie sich kratzte, und dann bemühte er sich aktiv, nicht mehr darüber nachzudenken. Glenn hatte schon genug Sorgen, da musste sein einziger verlässlicher Freund nicht auch noch mit seiner unzuverlässigen Mutter anbändeln.
Schneller als gedacht war es so, dass Zeb dem jungen Crake ein paar außerschulische Lektionen im Codieren gab, das heißt – praktisch gesprochen – auch im Hacken. Der Junge war ein Naturtalent und zeigte sich nun endlich beeindruckt von einigen Dingen, die Zeb wusste und er nicht, und er kapierte blitzschnell. Wie verlockend war es, dieses Talent zu nehmen, zu wetzen und zu polieren und die Schlüssel zum Königreich weiterzureichen – die Sesam-öffne-dichs, Hintertürchen und Abkürzungen? Sehr verlockend. Und Zeb gab der Verlockung nach. Es machte einen Heidenspaß, den Jungen die Informationen aufsaugen zu sehen, und wer hätte ahnen können, was die Sache für Konsequenzen haben würde? Aber so war es ja meistens, wenn man Spaß hatte.
Als Dank für Zebs Verschlüsselungs- und Hackergeheimnisse verriet Glenn ihm ein paar seiner eigenen Geheimnisse. Zum Beispiel, dass er die Nachttischlampe im Zimmer seiner Mutter verwanzt hatte, wodurch Zeb erfuhr, dass sich Rhoda mit einem Typ namens Pete aus der mittleren Führungsebene vergnügte, meist unmittelbar vor der Mittagspause.
»Mein Vater weiß nichts davon«, sagte Glenn. Er überlegte einen Moment und fixierte Zeb mit seinen gespenstischen grünen Augen. »Meinst du, ich sollte’s ihm stecken?«
»Vielleicht solltest du überhaupt nicht lauschen«, sagte Zeb.
Glenn blickte kühl zurück. »Und warum nicht?«
»Weil das was für Erwachsene ist«, sagte Zeb und fand sogar selbst, dass er spießig klang.
»Du hättest das auch getan in meinem Alter«, sagte Glenn; und Zeb konnte nicht leugnen, dass er tatsächlich keine Millisekunde gezögert hätte, wären Gelegenheit und Technik vorhanden gewesen. Gierig, schadenfroh, ohne mit der Wimper zu zucken.
Andererseits hätte er es vielleicht gelassen, wenn es um seine eigenen Eltern gegangen wäre. Nicht mal jetzt kann er sich Hochwürden vorstellen, wie er
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