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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Debriefing-Raum und müsste sich das Hirn leerpumpen lassen, und darum war er nicht zu beneiden, denn nach so einer Sache hatte man meist nichts mehr nördlich der Augen als einen ausgelutschten Spüllappen. Würden sie einem Kind so etwas antun? Ja. Sie würden.
    Er hoffte inständig, dass es das nicht war: wenn ja, hätte er ein äußerst schlechtes Gewissen, denn dann wäre er ein sehr schlechter Lehrer gewesen. »Regel Nummer eins«, hatte er betont: »Lass dich nicht erwischen.« Aber das war manchmal leichter gesagt als getan. Hatte er beim Codiergefrickel geschlampt? Hatte er dem Jungen eine Abkürzung gezeigt, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen war? Hatte er ein paar Umleitungen übersehen, ein paar Wegmarken, die darauf hindeuteten, dass er und Glenn nicht die Einzigen waren, die seinen angeblich höchstpersönlichen Wildererpfad beschritten hatten?
    Auch wenn er sich große Sorgen machte um den Jungen, wollte Zeb nicht anfangen, die Lehrer oder gar Glenns desinteressierte und nachlässige Eltern auszufragen: Er musste den Ball flachhalten, er durfte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken.
    Zeb ließ den Blick über die Leute schweifen. Kein Glenn weit und breit. Aber da drüben war Pilar, dort unter einem Baum. Sie saß vor einem Schachbrett, das sie eindringlich zu studieren schien. Er nahm seinen lässigen Schlendergang an und bahnte sich einen Weg zu ihr hinüber, in der Hoffnung, dass es möglichst beiläufig wirkte.
    »Na, wie wär’s mit ner Partie?« fragte er.
    Pilar sah hoch. »Aber gern«, sagte sie lächelnd. Zeb setzte sich.
    »Wir losen aus, wer Weiß spielt«, sagte Pilar.
    »Ich spiel gerne Schwarz«, sagte Zeb.
    »So sagte man mir«, sagte Pilar. »Wie du willst.«
    Sie eröffnete mit einem Damenläufer, und Zeb entschied sich für eine damenindische Verteidigung. »Wo ist Glenn?«, fragte er.
    »Sieht gerade nicht gut aus«, erwiderte sie. »Konzentrier dich auf das Spiel. Glenns Vater ist tot. Glenn ist natürlich sehr mitgenommen. Die CorpSeCorps-Leute haben ihm erzählt, es sei Selbstmord gewesen.«
    »Ach«, sagte Zeb. »Wann war das?«
    »Vor zwei Tagen«, sagte Pilar und zog mit ihrem Damenspringer. Zeb zog mit seinem Läufer und blockierte ihn. Jetzt würde sie sich anstrengen müssen, um ihr Zentrum zu entwickeln. »Die Frage ist allerdings nicht wann, sondern wie. Er wurde von der Autobahnbrücke gestoßen.«
    »Von seiner Frau?«, fragte Zeb und dachte daran, wie ihm Rhoda ihre Brust in den Rücken gedrückt hatte, und er dachte auch an die Wanze in ihrer Nachttischlampe. Die Frage war eher witzig gemeint – er hätte sich schämen müssen. Hin und wieder schossen ihm solche Bemerkungen aus dem Mund wie Popcorn. Aber es war auch eine ernsthafte Frage: Konnte ja sein, dass Glenns Vater hinter die Schäferstündchen seiner Frau gekommen war und dass die beiden jenseits der HelthWyzer-Mauern spazieren gegangen waren, um ein Gespräch unter vier Augen zu führen, und dann wollten sie über die Autobahnbrücke schlendern, um auf den Verkehr zu sehen, und dann gab es Streit, und Glenns Mutter hatte ihren Mann übers Geländer gestoßen, ohne dass er sich hatte wehren können …
    Pilar betrachtete ihn. Vermutlich wartete sie, bis er wieder bei Sinnen war.
    »Schon gut, ich nehm’s zurück«, sagte er. »Sie war’s nicht.«
    »Er hat eine Entdeckung gemacht, die mit HelthWyzer zu tun hat«, sagte Pilar. »Er hatte das Gefühl, diese Praktik sei nicht nur ethisch nicht vertretbar, sondern auch eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit und daher unmoralisch. Er drohte, mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen; oder vielleicht nicht direkt an die Öffentlichkeit, denn die Presse hätte die Sache wahrscheinlich nicht angerührt. Aber wenn er zu einem feindlichen Konzern gegangen wäre, vor allem zu einem ausländischen, hätte dieser Konzern die Informationen benutzen können, um HelthWyzer zu schaden.«
    »Er war doch in Ihrem Team, oder?«, fragte Zeb. Im Bemühen, ihr zu folgen, geriet ihm das Spiel aus dem Blick.
    »Angegliedert«, sagte Pilar und räumte einen seiner Springer ab. »Er hat sich mir anvertraut. Und jetzt vertraue ich mich dir an.«
    »Warum?«, fragte Zeb.
    »Ich werde versetzt«, sagte Pilar. »In die HelthWyzer-Zentrale an der Ostküste. Zumindest hoffe ich das, es könnte allerdings auch schlimmer kommen. Vielleicht denken sie, mir fehlt es an Enthusiasmus oder sie zweifeln an meiner Loyalität. Du musst hier unbedingt weg; wenn ich erstmal versetzt

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