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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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nun hirntechnisch für besonders weit vorn gehalten hätte, aber auch nicht für völlig hoffnungslos. Wobei das alles etwas von Hoftheater hatte: Glenn war der Kronprinz und Zeb der leicht schusselige Höfling.
    Genau wie alt war Glenn? Acht, neun, zehn? Zeb konnte es kaum sagen, da er sich an sein eigenes Leben mit acht, neun oder zehn nicht gern erinnerte. Er hatte damals viel zu viel Zeit im Dunkeln verbracht, ob nun so oder so. Alles das musste vergessen werden, und er hatte hart am Vergessen gearbeitet. Dennoch, wann immer er einen Jungen in diesem Alter sah, wollte er als Erstes rufen : Lauf! Lauf weg, so schnell du kannst! Und sein zweiter Gedanke war: Werde groß! Werde sehr groß! Wer sehr groß wurde, würde sich nie wieder von irgendjemandem unterdrücken lassen müssen. Zumindest nicht maßgeblich. Wobei, überlegte er, dem Wal hatte seine Größe auch nichts genützt. Oder dem Tiger. Oder dem Elefanten.
    Es musste da jemanden oder etwas geben im Leben des jungen Glenn: Er wirkte gequält. Er hatte diesen gewissen Gesichtsausdruck, wie ihn Zeb bei sich selbst entdeckte, wenn er sich zufällig im Spiegel sah: einen misstrauischen Blick, als wisse er nicht, welcher Busch, welcher Parkplatz oder welches Möbelstück sich auftun und den lauernden Feind oder die Fallgrube zum Vorschein bringen würde. Doch Glenn hatte weder Narben noch Prellungen und auch keine Essstörung, zumindest soweit Zeb erkennen konnte: Wer oder was also quälte ihn? Vielleicht nichts Genaues. Eher ein Mangel, ein Vakuum.
    Nach mehreren Donnerstagen und etwas genauerer Beobachtung kam Zeb zu dem Schluss, dass Glenns Eltern weder für ihren Sohn noch füreinander sonderlich viel Zeit hatten: Aus ihrer Körpersprache ging hervor, dass sie längst über das Stadium der Irritation und gelegentlichen Abneigung hinweg waren und aktiven Hass kultivierten. Trafen sie in der Öffentlichkeit aufeinander, gab es eisige Blicke und knappe Worte, und jeder ging hastig seiner Wege. Hinter den Vorhängen köchelte auf dem privaten Herd ein Topf voller Wut: Dieser blubbernde Kessel erforderte ihre komplette Aufmerksamkeit, und Glenn war nichts als Fußnote oder Sammelkarte. Vielleicht fühlte sich Glenn aus demselben Grund, aus dem Kinder Dinosaurier mögen, zu Zeb hingezogen: Fühlt man sich alleingelassen in einer Welt, die man nicht kontrollieren kann, ist es tröstlich, ein gewaltiges Schuppentier zum besten Freund zu haben.
    Glenns Mutter arbeitete in der Küchenverwaltung, bestellte Vorräte, plante Mahlzeiten. Glenns Vater war in der Forschungsabteilung ein mittelgroßes Tier – Experte für kuriose Mikroben, ungewöhnliche Viren, eigenartige Antigene und abseitige anaphylaktische Biovektoren. Ebola- und Marburgvirus zählten zu seinen Spezialgebieten, aber zur Zeit arbeitete er an einer seltenen allergischen Reaktion auf rotes Fleisch, die mit Zecken zusammenhing. Die von einem Wirkstoff in den Speichelproteinen der Zecken verursacht wurde, sagte Glenn.
    »Das heißt«, sagte Zeb, »man wird von ner Zecke angesabbert, und schon kann man kein Steak mehr essen, ohne am ganzen Körper Pickel zu kriegen und an Atemnot zu sterben?«
    »Sonnenseite«, sagte Glenn. Es war eine Phase, die er gerade durchlief: Er sagte das Wort ›Sonnenseite‹ und fügte dann irgendeine grausliche Nebeninformation hinzu. »Sonnenseite, wenn man ’s schaffen würde, sie unter die Leute zu bringen – wenn diese Zeckenspeichelproteine zum Beispiel in handelsüblichem Aspirin eingebettet würden –, dann wäre jeder gegen rotes Fleisch allergisch, das einen fetten CO 2-Fußabdruck hinterlässt und schuld ist an der Abholzung der Wälder, weil man Weideflächen für die Rinderherden braucht; und dann …«
    »Also unter Sonnenseite versteh ich was anderes«, sagte Zeb. »Nur muss man bedenken: Wir sind Jäger und Sammler, und die Evolution hat uns ausgerichtet, um Fleisch zu essen.«
    »Und um tödliche Allergien gegen Zeckenspeichel zu entwickeln«, sagte Glenn.
    »Aber nur bei denen, die aus dem Genpool rausgefiltert werden sollen«, sagte Zeb. »Weswegen sie so selten sind.«
    Glenn grinste, was nicht oft bei ihm vorkam. »Hast gewonnen«, sagte er.
    Wenn Zeb und Glenn donnerstags Computerspiele spielten, kam Glenns Mutter Rhoda gelegentlich angeschlendert und schaute zu, wobei sie sich ein wenig zu dicht über Zebs Schulter beugte und ihn hin und wieder sogar mit – mit was eigentlich berührte? Dem funktionalen Ende ihrer Brust? Fühlte sich zumindest so

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