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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Arbeiten Hosen und T-Shirts gebunkert. Doch die Laken sind luftiger und haben Einheitsgröße, daher sind sie die bevorzugte Kleidung der MaddAddamiten. Wenn die Laken aufgebraucht sind, werden sie sich etwas anderes ausdenken müssen, aber bis dahin sind es noch Jahre. Jahrzehnte. Wenn sie denn überhaupt so lange leben.
    Ein Spiegel wäre gut. Ohne kann sie schwer sagen, wie lädiert sie aussieht. Vielleicht schafft sie es, Spiegel auf die nächste Sammelliste zu setzen. Und Zahnbürsten.
    Sie wirft sich ihren Rucksack mit den Arzneien über die Schulter; Maden, Honig, Pilzelixier, Weidenrinde und Mohn. Als Erstes wird sie sich um Jimmy kümmern, sofern er noch am Leben ist. Aber erst nach dem Frühstück: Mit leerem Magen kann sie sich unmöglich dem Tag stellen, geschweige denn Jimmys eitrigem Fuß. Dann nimmt sie ihre alte Flinte und tritt hinaus ins grelle Morgenlicht.
    Trotz der frühen Stunde brennt die Sonne schon weiß am Himmel. Sie zieht sich eine Ecke des Lakens schützend über den Kopf, wirft einen Blick über den Garten. Das rothaarige Mo’Hairschaf steht da, beäugt durch den Gartenzaun das Gemüse und kaut dabei auf etwas Kudzu herum. Seine Freunde aus dem Schafkoben blöken es an: silberne Mo’Hairschafe, blaue, grüne, rosafarbene, brünette und blonde, die ganze Palette. Mo’Hair macht mehr her! , hieß es in der Werbung, als die Tiere damals lanciert wurden. Tobys gegenwärtige Frisur ist auch eine Mo’Hair-Transplantation: Sie ist nicht von Natur aus rabenschwarz. Vielleicht war deshalb das Mo’Hairschaf zu ihr in die Nische gekommen und hatte ihr übers Bein geschleckt. Es war gar nicht das Salz, sondern der schwache Duft von Lanolin. Es hatte sie für eine Artgenossin gehalten.
    Solange ich nicht von einem der Böcke bestiegen werde, denkt sie. Hauptsache, sie benimmt sich nicht wie ein Schaf. Rebecca müsste inzwischen auf den Beinen und drüben in der Küchenbaracke zugange sein. Vielleicht hat sie ja etwas Blütenduft-Shampoo in ihrem Lager.
    Drüben beim Gemüsegarten sitzen Ren und Lotis Blue im Schatten und unterhalten sich angeregt. Amanda sitzt daneben und starrt ins Leere. Sie ist in der Brache, würden die Gärtner sagen. Diese Diagnose wendeten sie auf eine ganze Reihe von Krankheiten an, von Depression über posttraumatischen Schock bis hin zu Dauerrausch. Die Theorie ging dahin, dass man im Zustand der Brache Kräfte sammelte und konservierte, sich durch Meditation nährte und unsichtbare Würzelchen ins Universum sandte. Toby hofft inständig, dass das auch für Amanda gilt. Sie war so ein lebhaftes Kind, in Tobys Klasse an der Gärtnerschule, damals auf dem Dachgarten Eden. Wann war das noch? Vor zehn, fünfzehn Jahren? Wie schnell man doch die Vergangenheit verklärt.
    Elfenbeinspecht, Manatee und Tamaraw sind dabei, den Zaun zu sichern. Bei Tageslicht wirkt er dürftig, durchlässig: Auf das Skelett der alten ornamentalen Eisenpfähle haben sie diverse Materialien gepfropft: einige Längen mit Klebeband durchwirkter Maschendraht, verschiedene Stangen, einige spitze Stöcke, die mit ihren Spitzen nach außen ragen. Manatee fügt weitere Stöcke hinzu, Elfenbeinspecht und Tamaraw stehen mit Spaten auf der anderen Seite des Zauns. Offenbar füllen sie gerade ein Loch.
    »Morgen«, sagt Toby.
    »Guck dir das an«, sagt Manatee. »Irgendwer hat hier versucht, unter dem Zaun durchzukommen. Gestern Nacht. Die Wachen haben’s nicht mitgekriegt, weil sie die Schweine vor dem Haus verjagen mussten.«
    »Gibt’s Spuren?«, fragt Toby.
    »Wir glauben, dass es auch Schweine waren«, sagt Tamaraw. »Die sind schlau – vorne ablenken und hintenrum buddeln. Jedenfalls haben sie’s nicht geschafft.«
    Hinter dem Zaun steht eine Gruppe Crakermänner im Halbkreis, den Blick nach außen gewandt, und pinkeln einträchtig vor sich hin. Ein Mann in einem gestreiften Laken, der aussieht wie Crozier – streng genommen ist es Crozier – pinkelt fröhlich mit.
    Was kommt als Nächstes? Mutiert Crozier jetzt zum Eingeborenen? Wird er seine Kleidung ablegen, a capella lernen und sich einen riesigen Penis wachsen lassen, der zur Brunftzeit blau anläuft? Würden die ersten beiden Punkte das Eintrittsgeld für Punkt drei darstellen, wäre er sofort dabei. Bald wird jeder MaddAddamiten-Mann nach so einem Penis lechzen. Und wenn das erstmal losgeht, wird es nicht mehr lange dauern, bis die Rivalitäten und Kriege ausbrechen, man zu Keulen und Stöcken und Steinen greift, und dann …
    Reiß

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