Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
Gänseblümchen-Hülle. Aus der Küche kommt die Stimme ihrer Mutter; ihr Vater antwortet. Der Duft von Eiern in der Pfanne.
Innerhalb dieses Traums träumt sie von Tieren. Eins davon ist ein Schwein, und zwar ein sechsbeiniges; das andere ist eine Katze mit Facettenaugen wie eine Fliege. Es gibt auch einen Bären, aber er hat Hufe. Diese Tiere sind weder feindselig noch freundlich. Draußen steht die Stadt jetzt in Flammen, sie kann es riechen; Angst liegt in der Luft. Fort, fort, sagt eine Stimme wie Glockengeläut. Eines nach dem anderen kommen die Tiere zu ihr und fangen an, mit ihren warmen rauen Zungen an ihr zu lecken.
Am Rande des Schlafs greift sie noch einmal nach dem zurückweichenden Traum: nach der brennenden Stadt, den Kurieren, die ausgesandt wurden, um sie zu warnen. Dass sich die Welt zutiefst verändert hat; dass das Vertraute lange tot ist; dass alles, was sie einmal geliebt hat, nicht mehr da ist.
Wie Adam Eins immer sagte: Das Schicksal Sodoms kommt mit großen Schritten auf uns zu. Unterdrückt die Reue. Erstarrt nicht zur Salzsäule. Schaut niemals zurück.
Beim Erwachen stellt sie fest, dass ihr ein Mo’Hairschaf übers Bein schleckt: ein rothaariges Schaf, dessen lange Menschenhaare zu kleinen Zöpfchen geflochten und mit Schleifchen versehen sind. Irgendein sentimentaler Geist unter den MaddAddamiten war hier am Werk. Das Schaf muss aus seinem Koben ausgebrochen sein.
»Weg da«, sagt sie und schiebt es behutsam mit dem Fuß zur Seite. Es wirft ihr einen verwirrt-vorwurfsvollen Blick zu – die Mo’Hairschafe sind nicht die hellsten – und zieht ab. Türen wären auch nicht schlecht, denkt sie.
Die Morgensonne sickert durch den Fetzen Stoff, den man vergeblich zum Schutz vor Moskitos vors Fenster gehängt hat. Wenn sie doch bloß Fliegengitter auftreiben könnten! Aber dann müssten sie auch Fensterrahmen bauen, denn das Lehmhaus war nie zum Wohnen gedacht: Es war ein Veranstaltungshaus für Märkte und Partys im Park, und nun haben sie es besetzt, weil es sicher ist. Es liegt fernab von den Trümmern der Stadt – fernab von den menschenleeren Straßen, plötzlichen Kabelbränden und unterirdischen Flüssen, die jetzt alle aufgrund der defekten Pumpen überlaufen. Kein Gebäude kann darüber einstürzen, und da es nur aus dem Erdgeschoss besteht, kann es schwerlich über sich selbst einstürzen.
Sie windet sich aus der morgendlich feuchten Bettdecke und streckt sich, spürt in sich hinein nach Verstauchungen und Verspannungen. Sie ist fast zu müde, um aufzustehen. Zu müde, zu deprimiert, zu wütend auf sich selbst nach dem Fiasko gestern Abend am Lagerfeuer. Jetzt rennen diese beiden geisteskranken Painballer frei in der Gegend herum.
Was soll sie bloß Zeb erzählen, wenn er zurückkommt? Vorausgesetzt, er kommt zurück: Auch die andere Möglichkeit ist immer gegeben. Zeb ist clever, aber unverwundbar ist er nicht.
Sie kann nur hoffen, dass er bei seiner Suche erfolgreicher gewesen ist als sie. Die Chancen, dass einige der Gottesgärtner überlebt haben, stehen nicht so schlecht, denn wenn jemand imstande war, jene Pandemie auszusitzen, die fast alle anderen das Leben gekostet hat, dann die Gärtner.
In all den Jahren, die sie selber erst als Gast, dann als Mitglied und schließlich als hochrangige Eva bei den Gärtnern verbrachte, hatten sie sich für die Katastrophe gewappnet. Sie hatten sich Verstecke und Zufluchtsorte gebaut und sie mit Vorräten ausgestattet: Honig, Sojaschnetzel und Pilze, Hagebutten, Holunderbeerkompott, Konserven aller Art. Samen zum Aussäen in der neuen, bereinigten Welt, von deren Ankunft sie überzeugt waren. Vielleicht hatten sie in einem dieser Verstecke die Seuche überstanden – in einem ihrer Ararats, wo sie die sogenannte wasserlose Flut gefahrlos abzuwarten hofften. Nach dem Vorfall mit Noah hatte Gott versprochen, kein zweites Mal auf die Wassermethode zurückzugreifen, aber dass er irgendetwas unternehmen würde angesichts des Bösen der Welt, war klar. So wurde argumentiert. Aber wo wird Zeb nach ihnen suchen, da draußen zwischen den Trümmern? Wo überhaupt anfangen?
Visualisiere deinen innigsten Wunsch , sagten die Gärtner immer, und er wird Gestalt annehmen ; was nicht immer funktioniert, zumindest nicht wie beabsichtigt. Ihr innigster Wunsch ist es, dass Zeb unbeschadet wieder nach Hause kommt, auch wenn sie dann mal wieder der Tatsache ins Auge sehen muss, dass sie für ihn nichts weiter als ein Neutrum darstellt. Keine
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