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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Hund aus der Nähe gesehen?
    »Kommt dann irgendwann ein Baby aus deinem Bauch, o Toby? Wenn du blau wirst?«
    Was genau will er wissen? Ob Nicht-Craker wie sie auch Kinder bekommen können oder ob sie vielleicht schon ein Kind hat? »Wäre ich jünger, käme vielleicht ein Baby aus meinem Bauch«, sagt sie. »Aber jetzt nicht mehr.« Auch wenn ihr Alter nicht der entscheidende Faktor ist. Wäre ihr ganzes Leben anders gelaufen. Hätte sie nicht das Geld gebraucht. Hätte sie in einem anderen Universum gelebt.
    »O Toby«, sagt der Craker-Junge, »was ist das für eine Krankheit, die du hast? Hast du dir weh getan?« Er will sie in seine bildschönen Arme nehmen. Sind das etwa Tränen in seinen seltsamen grünen Augen?
    »Schon gut«, sagt sie. »Mir tut jetzt nichts mehr weh.« Sie hatte ein paar ihrer Eier verkauft, um die Miete zu bezahlen, damals während ihrer Zeit im Plebsland, bevor die Gärtner sie zu sich nahmen. Sie hatte sich eine Infektion zugezogen, und das war’s mit dem Kinderkriegen. Das Trauern hatte sie aber längst abgeschlossen. Und wenn nicht, wurde es höchste Zeit. Im Hinblick auf die Gesamtsituation – die Situation der einstigen sogenannten Menschheit – sollten solche Gefühle eigentlich keine Rolle mehr spielen.
    Fast hätte sie hinzugefügt: »Ich habe Narben, in mir drin«, aber sie lässt es sein. Was sind Narben, o Toby? Das wäre die nächste Frage. Dann würde sie erklären müssen, was eine Narbe ist. Eine Narbe ist wie etwas, was auf den Körper geschrieben ist. Sie erzählt von dem, was einem früher passiert ist, zum Beispiel von einer Schnittwunde, die geblutet hat. Was bedeutet geschrieben, o Toby? Schreiben bedeutet, dass man Zeichen auf ein Blatt Papier setzt, auf einen Stein, auf einen flachen Untergrund wie den Sand am Ufer des Meeres, und jedes Zeichen bedeutet einen Laut und die Laute bedeuten alle zusammen ein Wort und die Worte bedeuten alle zusammen … Wie macht man das, das Schreiben, o Toby? Das macht man mit einer Tastatur oder nein – früher nahm man dazu einen Stift oder einen Bleistift, ein Bleistift ist ein … Oder man schreibt mit einem Stock. O Toby, das verstehe ich nicht. Man macht sich mit einem Stock ein Zeichen in die Haut, man schneidet seine Haut auf und dann ist da eine Narbe, und dann spricht diese Narbe? Sie spricht, sie erzählt uns Geschichten? O Toby, können wir hören, was die Narbe erzählt? Zeigst du uns, wie wir diese Narben zum Sprechen bringen?
    Nein, sie sollte die Finger von Narben lassen und von allem, was damit zu tun hat. Die Craker könnten sich ermutigt fühlen, die Haut aufzuritzen und ihr Stimmen zu entlocken.
    »Wie heißt du?«, fragt sie den kleinen Jungen.
    »Ich heiße Blackbeard«, sagt der Junge ernst. Blackbeard, so wie der berüchtige Seeräuber? Dieses liebe Kind? Ein Kind, das als Erwachsener niemals Bartwuchs haben wird, weil Crake bei seiner neues Spezies die Körperbehaarung ausgemerzt hat. Viele Craker haben eigentümliche Namen. Laut Zeb hatte Crake sie benannt – Crake, mit seinem schrägen Humor. Aber was spricht gegen merkwürdige Namen, passend zu ihrer Merkwürdigkeit überhaupt?
    »Es freut mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen, o Blackbeard«, sagt sie.
    »Isst du auch deinen Kot, o Toby?«, fragt Blackbeard. »So wie wir? Um die Blätter besser verdauen zu können?«
    Welchen Kot? Essbare Kacke? Davor hat sie niemand gewarnt! »Es wird Zeit für dich, zu deiner Mutter zurückzugehen, o Blackbeard«, sagt Toby. »Sie macht sich bestimmt schon Sorgen.«
    »Nein, o Toby. Sie weiß, dass ich bei dir bin. Sie sagt, du bist gütig und liebevoll.« Er lächelt und entblößt dabei seine vollkommenen kleinen Zähne: einfach bezaubernd. Sie sind alle so unglaublich attraktiv – wie eine retuschierte Kosmetikwerbung. »Du bist gütig wie Crake. Du bist liebevoll wie Oryx. Hast du auch Flügel, o Toby?« Er reckt den Hals und versucht einen Blick hinter sie zu werfen. Vielleicht war die Umarmung vorhin nur ein verstohlener Versuch, ihren Rücken nach gefiederten Stummeln abzutasten.
    »Nein«, sagt Toby. »Flügel habe ich keine.«
    »Wenn ich größer bin, werde ich mich mit dir paaren«, sagt Blackbeard. Er sagt das in heroischem Tonfall. »Auch wenn du … nur ein bisschen blau bist. Dann wirst du ein Baby bekommen! Es wird in deiner Knochenhöhle wachsen. Du wirst glücklich sein!«
    Nur ein bisschen blau. Das heißt dann wohl, er hat ihr relativ hohes Alter erkannt, wobei die Craker für alt

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