Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
keinen Begriff haben. »Danke, o Blackbeard«, sagt Toby. »Und jetzt lauf. Ich muss frühstücken. Und ich muss nach Jimmy – ich meine, nach dem kranken Schneemensch-Jimmy sehen, ob er wieder gesund ist.« Sie setzt sich auf und pflanzt beide Beine fest auf den Boden, als Zeichen, dass der Junge gehen soll.
Aber das Zeichen sagt ihm nichts. »Was ist Frühstück , o Toby?«, fragt er. Sie vergisst, dass diese Leute keine Mahlzeiten als solche haben. Sie grasen wie alle Pflanzenfresser. Er beäugt ihr Fernglas, er stochert in den Laken herum. Jetzt streicht er über ihre Flinte, die in der Ecke steht. Ein normales Menschenkind würde dasselbe tun: müßig und neugierig mit den Gegenständen herumspielen. »Ist das dein Frühstück?«
»Fass das nicht an«, sagt sie mit scharfem Unterton. »Das da ist kein Frühstück, das ist etwas, um – Frühstück ist das, was wir morgens essen, also Leute wie ich, mit unserer zweiten Haut.«
»Ist es ein Fisch?«, fragt der Junge. »Dieses Frühstück?«
»Manchmal ja«, sagt Toby. »Aber heute werde ich ein Stück Tier essen. Ein Tier mit Fell. Vielleicht esse ich sein Bein. Es wird ein stinkender Knochen drin sein. So einen stinkenden Knochen würdest du nicht sehen wollen, oder?«, fragt sie. Damit wird sie ihn bestimmt los.
»Nein«, sagt er zweifelnd. Er rümpft die Nase. Dennoch wirkt er interessiert: Wer würde nicht gern einen Blick hinter den Vorhang auf die garstigen Gelage der Kobolde werfen?
»Dann solltest du jetzt gehen«, sagt Toby.
Er bleibt. »Schneemensch-Jimmy sagt, die bösen Menschen im Chaos haben die Kinder der Oryx gegessen«, sagt er. »Sie haben sie in rauen Mengen getötet und in rauen Mengen gegessen. Immerzu haben sie sie gegessen.«
»Ja, das stimmt«, sagt Toby, »aber sie haben sie auf die falsche Weise gegessen.«
»Haben die zwei bösen Männer sie auch auf die falsche Weise gegessen? Die Männer, die weggelaufen sind?«
»Ja«, sagt Toby. »Das haben sie.«
»Wie isst du sie, o Toby? Die Beine der Kinder?« Er hat seine riesigen Augen auf sie gerichtet, als wenn ihr im nächsten Moment zwei Reißzähne wachsen und sie über ihn herfallen würde.
»Auf die richtige Weise«, sagt sie und hofft, dass er nicht genauer nachfragt.
»Ich habe einen stinkenden Knochen gesehen. Er lag hinter der Küche. Ist das ein Frühstück? Essen die bösen Männer solche Knochen?«, fragt Blackbeard.
»Ja«, sagt Toby. »Aber sie tun auch andere schlimme Dinge. Viele schlimme Dinge. Viel schlimmere Dinge. Wir müssen alle sehr vorsichtig sein und dürfen nicht allein in den Wald gehen. Wenn du diese bösen Männer siehst oder andere wie sie, musst du sofort zu mir kommen und mir Bescheid sagen. Oder Crozier oder Rebecca oder Elfenbeinspecht. Egal wem.« Dieses Thema hat sie schon mehrmals mit den Crakern besprochen, auch mit den Erwachsenen, aber sie weiß nicht genau, ob die Botschaft angekommen ist. Sie blicken sie versonnen an und nicken, kauen langsam, als dächten sie nach, doch sie wirken nicht ängstlich. Diese fehlende Angst ist schon etwas besorgniserregend.
»Aber nicht Schneemensch-Jimmy oder Amanda«, sagt der Junge. »Denen dürfen wir nicht Bescheid sagen. Weil sie krank sind.« So viel hat er zumindest begriffen. Er hält inne, als dächte er nach. »Aber Zeb wird machen, dass die bösen Männer weggehen. Dann werden alle in Sicherheit sein.«
»Ja«, sagt Toby. »Dann werden alle in Sicherheit sein.« Schon jetzt haben die Craker eine ganze Reihe ehrfurchterweckender Glaubenssätze zu Zebs Person erstellt. Bald wird er allmächtig sein und jedes Problem beheben können, und das könnte schwierig werden, denn jedes Problem beheben kann er natürlich nicht. Nicht mal für mich, denkt Toby.
Doch der Name Zeb übt auf Blackbeard eine beruhigende Wirkung aus. Er lächelt erneut, hebt die Hand, winkt ihr ein wenig zu wie ein Staatsoberhaupt aus grauer Vorzeit, wie eine Königin in einem Reiterzug, wie ein Filmstar. Woher hat er diese Geste? Jetzt legt er den Rückwärtsgang ein. Sein Blick bleibt auf Toby geheftet, bis er aus der Tür ist.
Habe ich ihn jetzt verschreckt?, denkt sie. Geht er jetzt zurück zu den anderen und erzählt ihnen von allerlei widerlichen Wundern, wie es echte Kinder tun – wie es Kinder tun?
Violette Biolette
Draußen vor dem Haupthaus herrscht geschäftiges Treiben. Die anderen müssen schon gefrühstückt haben, nur Swift-Fuchs und Elfenbeinspecht sitzen noch am Tisch, zweifellos in irgendein
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