Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
Lachs, ein Eber auf der Platte. Drei Craker beschnurren ihn abwechselnd: zwei Männer und eine Frau, goldfarben, elfenbein, ebenholz. Alle drei Stunden sind es drei andere. Verfügen sie über so geringe Schnurrkapazitäten, sind sie wie Batterien, die erst wieder aufgeladen werden müssen? Natürlich müssen sie zwischendurch auch mal grasen und trinken, aber hat das Schnurren selbst irgendeine Art elektrische Frequenz?
Wir werden’s wohl nie erfahren, denkt Toby und drückt Jimmys Nasenflügel zusammen, damit er den Mund öffnet: Man kann sie ja schlecht an Elektroden anschließen und wissenschaftliche Studien durchführen, jetzt nicht mehr. Ihr Glück. In früheren Zeiten wären sie von irgendeinem rivalisierenden Konzern aus dem Paradies-Gebäude verschleppt worden, man hätte sie gepikst, geschüttelt und aufgeschnitten, um zu sehen, woraus sie gemacht sind. Wie sie ticken, wie sie schnurren, wie sie klicken. Wie sie oder ob sie überhaupt krank werden. Sie wären als DNA -Scheiben in irgendeiner Tiefkühltruhe gelandet.
Jimmy schluckt und seufzt; seine linke Hand zuckt. »Wie ist es ihm heute ergangen?«, will Toby von den drei Crakern wissen. »Ist er bei Bewusstsein gewesen?«
»Nein, o Toby«, sagt der goldfarbene Mann. »Er ist auf Reisen.« Dieser hat leuchtend rotes Haar, lange schlanke Gliedmaßen; trotz seiner Hautfarbe sieht er aus wie ein Wesen aus einem Kinderbuch. Einem irischen Volksmärchen.
»Aber jetzt ist er stehengeblieben«, sagt der Ebenholzmann. »Er ist auf einen Baum geklettert.«
»Nicht auf seinen richtigen Baum«, sagt die Elfenbeinfrau. »Nicht auf den Baum, in dem er wohnt.«
»Er ist nur zum Schlafen im Baum«, sagt der Ebenholzmann.
»Ihr meint, er schläft im Schlaf?«, fragt Toby. Das scheint falsch; wie soll denn so etwas möglich sein? »Auf dem Baum in seinem Traum?«
»Ja, o Toby«, sagt die Elfenbeinfrau. Alle drei sehen sie mit ihren schillernden grünen Augen versonnen an, und sie kommt sich vor, als würde sie vor drei gelangweilten Katzen mit einem Stück Wolle zwirbeln.
»Vielleicht wird er sehr lange schlafen«, sagt der goldfarbene Mann. »Er sitzt da oben fest, auf dem Baum. Wenn er nicht aufwacht und hierherkommt, wacht er überhaupt nicht mehr auf.«
»Aber es geht ihm doch besser!«, sagt Toby.
»Er hat Angst«, sagt die Elfenbeinfrau sachlich. »Er hat Angst vor dem, was in dieser Welt ist. Er hat Angst vor den bösen Männern, er hat Angst vor den Großen Schweinen. Er will nicht wach sein.«
»Könnt ihr denn nicht mit ihm reden?«, fragt Toby. »Könnt ihr ihm nicht sagen, dass es besser ist, wach zu sein?« Ein Versuch kann nicht schaden: Vielleicht haben sie ja irgendeine Form von unhörbarer Kommunikation und sie können Jimmy erreichen, wo immer er gerade ist. Eine Wellenlänge, eine Vibration.
Aber sie haben den Blick abgewendet. Sie sehen Ren und Lotis Blue an, die gerade ankommen und Amanda in schützendem Schlepptau haben.
Die drei setzen sich auf die leeren Stühle, Amanda nur zögerlich. Ren und Lotis Blue sind voller Schlamm von den Bauarbeiten, Amanda ist makellos. Die anderen beiden duschen sie jeden Morgen ab, suchen ihr ein frisches Laken aus, flechten ihr Zöpfe.
»Wir machen mal ne kurze Baupause, haben wir gedacht«, sagt Ren. »Mal gucken, wie’s Jimmy-Schneemensch geht.«
Die Elfenbeinfrau schenkt ihnen ein breites Lächeln, die beiden Männer ein nicht ganz so breites: Die Crakermänner sind in Gegenwart der jüngeren Lehmhausfrauen inzwischen nervös. Seitdem sie gelernt haben, dass ausgelassene Gruppenkopulationen nicht akzeptabel sind, wissen sie nicht mehr, was von ihnen erwartet wird. Sie beginnen mit leiser Stimme zu konferieren, und die Elfenbeinfrau schnurrt allein weiter.
Ist sie blau? Eine ist blau. Die anderen zwei waren blau, wir haben unser Blau mit ihrem Blau zusammengefügt, aber wir haben sie nicht glücklich gemacht. Sie sind nicht wie unsere Frauen, sie sind nicht glücklich, sie sind gebrochen. Hat Crake sie geschaffen ? Warum hat er sie so geschaffen, dass sie nicht glücklich sind? Oryx wird sich um sie sorgen. Wird sich Oryx um sie sorgen, wenn sie nicht so sind wie unsere Frauen? Sobald Schneemensch-Jimmy aufwacht, werden wir ihn diese Dinge fragen.
Da wäre ich gern Fliege an der Wand, denkt Toby. Wenn Jimmy gegenüber diesen Leuten oder Halb-Leuten Crakes Mittel und Wege rechtfertigt.
»Wird Jimmy – wird Schneemensch-Jimmy wieder gesund?«, fragt Lotis Blue.
»Ich glaube ja«, sagt Toby.
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