Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
Millisekunde. In diesem Millennium. In diesem Äon.
Die Sau steht regungslos da. Der Kopf bleibt oben, die Ohren sind aufgestellt. Ohren groß wie Calla-Lilien. Es sieht nicht aus, als wollte sie zum Angriff übergehen. Die Ferkel rühren sich nicht, ihre Augen sind wie tiefrote Beeren. Holunderbeeraugen.
Jetzt hört man etwas. Woher kommt das Geräusch? Es klingt wie der Wind in den Ästen, wie ein Adler in der Luft, nein, wie ein Singvogel aus Eis, nein, wie ein … Scheiße, denkt Toby. Ich bin total breit.
Es ist Blackbeards Gesang. Seine dünne Jungenstimme. Seine nichtmenschliche Crakerstimme.
Im nächsten Moment sind Sau und Ferkel verschwunden. Blackbeard dreht sich um und lächelt Toby an. »Sie war hier«, sagt er. Was meint er damit?
»Verdammt«, sagt Shackleton. »So viel zu unseren Rippchen.«
Also dann, denkt Toby. Geh nach Hause, unter die Dusche, werd wieder nüchtern. Deine Vision hast du gehabt.
VEKTOR
Die Geschichte von Crakes Geburt
»Immer noch ein bisschen verstrahlt, was?«, sagt Zeb, während sie auf die Bäume zugehen, wo Jimmys Hängematte hing und die Craker warten. Die Abenddämmerung ist tiefer, dichter, vielschichtiger als sonst, die Motten sind leuchtender, der Duft der abendlichen Blumen betörender: Das kommt noch immer von der erweiterten Meditationsmixtur.
Sie halten sich an den Händen: Zebs Hand fühlt sich an wie Wildleder, wie eine Katzenzunge, warm und weich, zart und rau. Es dauert manchmal einen halben Tag, bis die Wirkung von dem Zeug nachlässt.
»Ich weiß nicht, ob verstrahlt das richtige Wort ist, um eine mystische, beinah-religiöse Erfahrung zu umschreiben«, sagt Toby.
»Das war das also?«
»Möglicherweise. Blackbeard erzählt allen, Pilar sei in der Haut eines Schweins erschienen.«
»Ach was! Und das als Vegetarierin! Wie soll sie denn da reingekommen sein?«
»Er sagt, sie habe sich die Schweinehaut übergeworfen wie du dein Bärenfell. Nur, dass sie das Schwein nicht getötet und gegessen hat.«
»Verschwendung.«
»Und sie hätte zu mir gesprochen, sagt Blackbeard. Er hätte sie gehört, sagt er.«
»Glaubst du das auch?«
»Nicht direkt«, sagt Toby. »Du weißt doch, wie die Gärtner ticken. Ich habe mit meiner inneren Pilar kommuniziert, die eine sichtbare Gestalt angenommen und mithilfe von Hirnchemiebeschleunigern mit den Wellenlängen des Universums verbunden war; ein Universum, in dem es – wenn man’s richtig versteht – keine Zufälle gibt. Und nur weil ein Sinneseindruck durch die Einnahme einer Mixtur von psychoaktiven Substanzen ›hervorgerufen‹ wird, muss es sich dabei noch lange nicht um eine Illusion handeln. Türen werden mit Schlüsseln geöffnet, aber muss das heißen, dass das, was beim Öffnen enthüllt wird, nicht existiert?«
»Da hat Adam Eins aber mal ganze Arbeit geleistet bei dir, was? So ne gequirlte Scheiße konnte der stundenlang absondern.«
»Ich kann seiner Argumentation folgen, also hat er in dem Sinne wohl wirklich ganze Arbeit geleistet. Aber was den ›Glauben‹ anbelangt, bin ich mir nicht so sicher. Wobei, wie er immer sagte, ist ›Glaube‹ nicht einfach nur die Bereitschaft, Verneinungen aufzuheben?«
»Stimmt. Mir war selber nie ganz klar, wie viel er davon wirklich geglaubt hat, ob er seine Hand dafür ins Feuer gelegt hätte. Der war aalglatt, der Kerl.«
»Er hat immer gesagt, wenn man einem Glauben entsprechend handelt, sei das dasselbe. Wie den Glauben haben.«
»Ich wünschte, ich könnte ihn finden«, sagt Zeb. »Selbst wenn er tot ist. Ich wüsste gern, was passiert ist, so oder so.«
»Die Sache verarbeiten, sagte man früher«, sagt Toby. »In einigen Kulturen konnte ohne ein anständiges Begräbnis der Geist des Toten nicht befreit werden.«
»Schon komisch, das mit der Menschheit«, sagt Zeb. »Oder? So, da wären wir. Leg los, Frau Märchentante.«
»Ich glaube, ich kann nicht. Nicht heute. Ich bin immer noch ziemlich matschig.«
»Versuch’s. Zeig dich wenigstens. Sonst gehen die am Ende noch auf die Barrikaden.«
Danke für den Fisch.
Ich werde ihn nicht sofort essen, weil ich euch erst etwas Wichtiges zu sagen habe.
Gestern habe ich an dem glänzenden Ding gehorcht und Crakes Worte gehört.
Bitte nicht singen.
Und Crake sagte: Am besten ist es, den Fisch etwas länger zu braten. Bis er ganz durch und heiß ist. Ihn niemals in der Sonne liegen zu lassen, bevor man ihn brät. Ihn auch nicht über Nacht liegen lassen. Crake sagt, das ist der beste Weg, mit einem
Weitere Kostenlose Bücher