Die Geschichte von Zoe und Will
wir eine völlig neue Tierart.
Ich verbringe endlos lange Minuten damit, seine Lippen mit den Fingern nachzuzeichnen und mit dem Mund über sein stoppeliges Kinn zu fahren.
»Du musst dich rasieren«, flüstere ich. Der Klang meiner Stimme verändert die Stimmung. Vier Worte, genau unterhalb seines Ohrs gesprochen, lassen einfach alles intensiv werden. Seine Hände an meinem Rücken umfassen mich stärker, pressen meinen Bauch fester an ihn.
Er gibt mir keine Antwort, außer der, dass er die Finger unter die Rückseite seines T-Shirts schiebt und sie flach auf meine Haut legt. Die Wärme seiner Hände pulsiert von seinen Fingern, seiner Handfläche und breitet sich dann wie ein plötzlicher Sonnenstrahl über meine Schulterblätter, meine Rippen, meine Hüfte aus. Ich spüre ihn in den Tiefen meines Körpers. Nie zuvor war ich jemandem, der mich liebt, so nahe.
»Kann ich dich etwas fragen?«
Seine Stimme klingt rau und tief in meinem Haar.
»Natürlich.«
»Dein Dad. Ich weiß, dass er dich … viel rumgeschubst hat. Aber hat er dich jemals … äh, war das alles, was er getan hat? Nicht dass das eine Kleinigkeit wäre, dich geschlagen zu haben. Aber gab es da noch andere Dinge, die er getan hat? Die er dir angetan hat?«
Ich drücke mich weg. Wahrscheinlich ist dieser Gedanke nicht abwegig. Aber er bittet mich, über Dinge nachzudenken, an die ich mich nicht erinnern will.
»Nein. Nicht so. Manchmal, wenn er gut gelaunt war, hat er mich, wenn ich an ihm vorbeigegangen bin, gepackt und hat mich Debbie genannt. Allerdings nicht sehr häufig.«
»Er dachte, du wärst deine Mom?«
»Manchmal.«
»Aber er hat nie …«
»Nein.«
Will zieht mich wieder an sich, und sein Atem streicht über meinen Kopf.
»Macht es dir Angst, wenn ich dich berühre?« Ein leichtes Zittern durchbricht den ruhigen Klang seiner Stimme.
Seine Frage soll selbstsicher klingen, und es überrascht mich, als ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen schießt. Ich weiß, was hinter dieser Frage steckt. Während ich antworte, sehe ich ihm absichtlich fest in die Augen.
»Natürlich nicht. Ich vertraue dir. Das ist nur alles neu für mich. Es ist einfach zu gut, und ich weiß nicht, wohin mit dem Guten. Ich will so nicht sein, aber ich kann nichts dagegen tun. Es tut mir leid.«
»Das darf dir nie leidtun. Ich werde alles tun, damit du keine Angst mehr hast.«
»Ich weiß.« Und das weiß ich wirklich. Egal, was sie über Will und seine Vergangenheit sagen, egal, welche Wut ich manchmal in ihm sehe, ich weiß, dass er mich beschützen will, dass er alles für mich tun würde. Und genau so fühle auch ich: Ich will ihm ein Schutzschild sein, die Antwort, nach der er sucht. Das Mädchen, das ihn heilt. Vielleicht ist es anmaßend, so zu denken. Aber vielleicht kann ich nur so fühlen.
Wir liegen noch eine Weile da, ohne zu reden, ohne uns zu rühren, bis Will auf die Seite rollt und einen Blick auf den Wecker wirft.
Widerwillig lösen wir uns voneinander, und Will geht los, um den Weg nach Elko zu überprüfen, während ich dusche. Ich stehe länger unter dem kräftigen Wasserstrahl als nötig, weil es sich so gut anfühlt, sauber zu sein, und ich weiß, dass es ein paar Tage bis zur nächsten Dusche dauern könnte.
Ich bin immer noch im Badezimmer, eingehüllt in ein dürftiges weißes Handtuch, als er zurückkommt. Er nimmt sich nicht einmal die Zeit, den Zimmerschlüssel wegzulegen, sondern kommt direkt auf mich zu, hebt mich auf den Waschbeckenschrank und bedeckt meine nackten Schultern mit hauchzarten Küssen.
»Du machst Sachen mit mir, das glaubst du gar nicht.«
Doch, das weiß ich, zumindest falls das, was er fühlt, auch nur annähernd so überwältigend ist wie die heiße Glut, die mich gerade verzehrt. Ich umklammere Will mit der einen Hand und das Schränkchen mit der anderen, während ich einen zitternden Atemzug nehme. Dann lässt mich Will los, zieht sich in weniger als fünf Sekunden aus und steigt mit einem breiten Grinsen unter die Dusche.
Ich fühle mich wie eine Trapezkünstlerin, der man mitten im Flug die Stange und die Seile weggenommen hat. Wills Kuss, sein wunderschöner, nackter Körper und das Zittern meiner Beine sind einfach zu viel. Ich rutsche vom Schränkchen und versuche vergebens, das Gleichgewicht zu halten, bevor ich auf den Boden gleite. Ich bin immer noch nicht in der Lage, die Augen von Wills Schatten hinter dem Duschvorhang abzuwenden, als er lachend nach der Seife greift.
»Lachst du
Weitere Kostenlose Bücher