Die Geschichte von Zoe und Will
geschäftigeren Teil der Stadt. Ich habe dieses sonderbare Gefühl, dass, wenn ich nur im richtigen Moment hochschaue, ich auf der anderen Straßenseite eine Frau mit meinen Augen und meinem Haar stehen sehe, die darauf wartet, dass ich nach Hause komme. Aber der einzige Mensch auf dem Gehweg ist ein kleiner Mann in schwarzen Cowboystiefeln.
Zoe liest die Wegbeschreibung vor, und ich fahre dorthin, wohin sie mich schickt … Aber es ist bescheuert. Ich kann mich nicht dazu aufraffen, ihr zu sagen, dass ich mich an nichts erinnere, und selbst wenn ich es täte, will ich nicht zurück. Die vergangene Nacht hat etwas mit ihrem Kopf angestellt, und jetzt will sie, dass gute Erinnerungen in mir zum Leben erweckt werden oder irgendwas in der Art, damit ich mich nicht mehr so schlecht fühle. Ich wusste, ich hätte ihr das von Ben nicht erzählen dürfen.
»Wir sollten einfach von hier verschwinden«, sage ich, als wir den Highway wieder überqueren. »Hier gibt es nichts.«
Sie geht nicht darauf ein. Ich merke, wie dickköpfig sie sein kann.
Irgendwie gefällt mir das.
Das Haus ist gelb, eine wirklich hübsche Farbe mit einer weißen Verkleidung. Nichts davon kommt mir bekannt vor: der weiße Gartenzaun, die Rosenbüsche, die Tür mit dem viereckigen Fenster. Was mich aber wirklich interessiert, ist, welches der angrenzenden Häuser meiner Mom gehört hat. Das blaue oder das weiße? Das kleine im Rancho-Stil oder das aus Lehmziegeln? Mein Bauchgefühl tippt auf das spanisch aussehende Haus, und ich haste Zoe hinterher, die bereits geklingelt hat.
»Ich erinnere mich hier an nichts.«
Aber die runzlige, alte Frau, die uns öffnet und im Schatten der Fliegengittertür steht – dieses Gesicht rüttelt eine Flut von Bildern oder Träumen oder was weiß ich wach. Sie schaut uns in die Augen, und dann, als wir nichts sagen, auf unsere Hände.
»Verkauft ihr was?«
Zoe bohrt mir den Ellbogen in die Rippen, und ihr knochiger Arm tut mir weh.
»Nein. Wir verkaufen nichts. Wir sind nur … Keine Ahnung, ob du dich an ein Kind erinnerst, das du vor langer Zeit aufgenommen hast …« Wie zum Teufel soll man ein Gespräch wie dieses beginnen?
Die Frau macht einen Schritt auf uns zu. Ihre Hand liegt nun auf der Klinke der Fliegengittertür. Ihr faltiges Gesicht wird noch runzliger, als sie versucht, mich genau zu betrachten.
»William Torres?«, murmelt sie leise. »Bist du das? Sieh dich einer an. Bist zu einem Mann geworden«, sagt sie und drückt das Fliegengitter auf. »Das passiert wohl im Lauf der Jahre. Kommt rein, beide. Ich habe Kekse. Keine selbst gemachten, aber ihr Kids von heute esst sowieso nur Mist. Kommt rein. Kann euch da draußen nicht richtig sehen.«
Zoe hält mir die Tür auf, und ich trete ein.
ZOE
ER BLICKT SICH UM , ALS WÄRE er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht. Nimmt die Einrichtung im Wohnzimmer in sich auf, schluckt ein paarmal und streicht sich mit der Hand durchs Haar. Ich war nicht sicher, ob er sich an irgendetwas erinnern würde, war besorgt, dass das Ganze vielleicht doch nichts Gutes nach sich ziehen würde, aber jetzt bin ich froh, dass wir hier sind. Er atmet langsam, als erinnere er sich an den Geruch in diesem Raum, und fängt meinen Blick auf, während die alte Frau ein paar Snacks aus der Küche holt. Er nimmt mich in den Arm und küsst mich mitten im Gang. Wohl eine Art Beruhigungskuss, denke ich.
»Das ist süß. Ist das deine Freundin?« Wir drehen uns um. Mrs. Fletcher steht mit einem mit Milch und Keksen beladenen Tablett lächelnd im Türrahmen. Sie scheucht uns ins Wohnzimmer, und wir setzen uns nebeneinander aufs Sofa, während sie uns gegenüber in einem breiten Sessel Platz nimmt.
»Das ist Zoe«, sagt Will. Er öffnet den Mund, um mehr zu sagen, aber es kommt nichts weiter heraus.
»Julie. Freut mich, dich kennenzulernen. Bist du auch aus Colorado?«
»Colorado?«, wiederhole ich. »Nein, aus North Dakota.«
»Von so weit oben? Wie habt ihr zwei euch dann kennengelernt?«
»In der Schule. Will ist auf meine Schule gekommen.«
Julie blickt zu Will, damit er meine Worte bestätigt. Er nickt, und sie wartet, dass wir fortfahren, aber es folgt nichts als ein peinliches Schweigen, während die tickelnde Wanduhr die Sekunden zu laut verstreichen lässt. Ich räuspere mich, in der Hoffnung, dass Will vielleicht dann etwas sagt, doch es ist Julie, die die bedrückende Stille durchbricht, indem sie aufsteht und uns ein paar Kekse in die Hand drückt.
»Ich erinnere
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