Die Geschichte von Zoe und Will
nie mehr gelohnt aufzuwachen … wirklich noch nie. Sie schläft noch, ihr Haar breitet sich zerzaust über ihrem Gesicht und ihrem Kopfkissen aus. Außer ihrem Atem gibt es kein Geräusch im Zimmer.
Ich kann einfach nicht aufhören, mich zu fragen, was dieser Wichser ihr angetan hat. Wie weit er gegangen ist. Ob er mehr getan hat, als sie nur mit den Fäusten zu Boden zu prügeln. Vielleicht hat das ausgereicht, dass sie vor allem Angst hat, sogar vor mir. Wenn ich darüber nachdenke, dass er ihr noch was Schlimmeres angetan haben könnte, wünsche ich, ich hätte den Kerl umgebracht, als ich die Chance hatte.
Der Gedanke, dass sie mehr braucht, als nur eine Flucht aus North Dakota, um das zu überwinden, lässt mich vor Angst fast in die Hose machen.
Die Mädchen, die ich kannte, die Mädchen im Heim, all die Töchter oder die Mädchen auf den Straßen: Bei denen wusste ich, wenn etwas war. Ein Geheimnis, ein schreckliches Geheimnis. Es geschieht öfter, als man denkt. Die Mädchen im Heim haben darüber geredet, als würden sie es in einer Talkshow ausplaudern.
Aber diese Mädchen haben ihre Erfahrungen hart gemacht. Zoe ist nicht so. Sie ist ein weiches Etwas, das in meinem Bett liegt und die morgendlich kalte Bergluft einatmet. Ich wickle eine Haarsträhne um meine Hand und berühre sie mit meinen Lippen. Etwas an dieser Geste lässt ein Gefühl in mir hochkommen, das ich noch nie gespürt habe. Als würde ich das Haar am liebsten fallen lassen und zurückweichen. Aber das tue ich nicht.
Ihre Füße schauen unter der Decke hervor, baumeln über der Bettkante. Ihre Fußnägel sind bemalt, mit abgesplittertem rosa Nagellack. Diese Dinge über sie zu wissen, dass sie ihre Nägel schon eine Weile nicht lackiert hat, dass sie rosa Nagellack benutzt, wenn sie sie lackiert, das sind die Dinge, die ich wissen will. Ich will unbedingt alles wissen, all diese Kleinigkeiten, und das so schnell wie möglich. Vielleicht, wenn es nichts mehr zu verstecken gibt, hat sie keine Angst mehr.
Ich ziehe sie an mich. Sie macht ein Geräusch, lächelt ein wenig, vergräbt sich an meiner Schulter. Ich habe das Gefühl, als hätten wir hier alle Zeit der Welt, um das zu tun. Weil niemand weiß, dass wir hier sind. Wer würde uns in dieser Stadt in den Bergen schon finden? Selbst die Check-out-Zeit um zwölf bliebe für uns stehen.
»Guten Morgen«, flüstert sie.
»Hi.«
»Wie viel Uhr ist es?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Mmh.«
»Gut.«
Die Sonne fällt durch einen Schlitz zwischen den Vorhängen auf unsere Hüften. Ich lege meine Hand über den Streifen, schiebe mit dem Kinn den Ärmel meines Shirts hoch und küsse ihre Schulter. Der Geruch von ihr und mir hat sich an dieser Stelle vermischt.
Es interessiert mich nicht, was andere über sexy Spitzenunterwäsche sagen, für mich gibt es nichts Besseres als dieses Mädchen in meinem T-Shirt.
»Zoe?«
»Hm.«
Ich drücke die Nase sanft an ihre Schulter. »Ich hab drüber nachgedacht, was du gesagt hast.«
»Hm?« Sie rührt sich nicht.
»Nun, ich hab entschieden, dass ich den Ort sehen sollte, an dem ich geboren wurde.«
Sie sagt nichts.
»Wirst du mit mir kommen?«
»Bist du dir sicher?«
»Was das angeht, dich mitzunehmen?«
Sie will mir einen Klaps geben, erwischt aber nichts außer Luft.
»Um zu sehen, wo du geboren wurdest.«
»Ja. Ich denke schon. Warum nicht? Es interessiert mich nicht die Bohne, aber zumindest kannst du schauen, ob ich aus einem rechtschaffenen Ort komme. Hättest du vielleicht tun sollen, bevor du mir einen Antrag gemacht hast.«
Diesmal greift sie mich mit dem Ellbogen an, bohrt ihn mir in die Rippen. »Aua!«
»Ich weiß längst, woher du kommst.«
»Und?«
»Und ich habe mich für dich entschieden. Trotz allem.«
»Dann bist du verrückt.«
»Na gut. Dann bin ich eben verrückt.«
Wir verschränken unsere Finger, und sie zieht sie an ihre Brust. Ich berühre ihre Nase mit meiner.
»Ich nehm’s zurück.«
»Hm?«
»Du bist perfekt.«
Sie kichert. »Dann ist’s ja okay.«
ZOE
ICH BIN NICHT WIRKLICH BEREIT , schon wieder aufzubrechen, selbst wenn es bedeutet, den Ort zu sehen, an dem Will geboren wurde. Das Bett ist warm von unseren Körpern. Die Vorhänge vor den Fenstern tauchen das Zimmer in eine schattenhaft weiche Dunkelheit. Wir bleiben noch ein wenig länger im Bett, lachen und berühren uns. Ich liebe es, wie ich mich an ihn schmiegen kann, wie er seinen Körper um mich schlingt und es sich anfühlt, als wären
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