Die geschützten Männer
es
passieren zu wollen.
Ich sehe Jackie an.
»Was machen wir jetzt?«
»Ich weiß nicht«, sagt sie gutgelaunt. »Abwarten.«
Sie lächelt. Sie kneift die Augen zusammen, um sie vor dem Regen zu schützen, doch hat ihr Blick zwischen den halbgeschlossenen
Lidern nichts von seiner Fröhlichkeit verloren.
|235| »Abwarten!« sage ich. »Im strömenden Regen abwarten, bis er aufhört!«
»Was schlagen Sie vor?« fragt sie mit unverändert fröhlichem und listigem Gesichtsausdruck. »Schauen Sie, Doktor«, fügt sie
lachend hinzu, »Sie dürfen das nicht so tragisch nehmen.«
»Ach, Sie finden das wohl sehr amüsant!«
Sie lacht.
»Amüsant finde ich nur, daß Sie diese Situation nicht vorausgesehen haben. Ich, ja«, fährt sie im gleichen Ton verhaltener
Genugtuung fort.
»Aber das hier ist doch nicht die einzige Stelle, wo wir durchkommen?«
»Aber ja doch!« sagt sie triumphierend. »Was glauben Sie, wie ich mich in diesem Wald auskenne! Ich war hier oft genug auf
Patrouille.«
»Also, wofür entscheiden wir uns?« frage ich ungeduldig.
Sie sieht mich mit gespieltem Ernst an.
»Uns bleiben nur zwei Möglichkeiten, Doktor: entweder die Nacht im Regen zu verbringen oder zu Helsingforth zurückzukehren.«
»Ich ziehe den Regen vor«, sage ich düster.
»Bravo, Doktor! Was ist schon eine Nacht im Freien, bei Gewitter? Sie haben warme Kleider, einen guten Regenmantel, eine Golfmütze
…«
»Ich denke doch nicht an mich«, sage ich, verärgert, daß sie die Dinge so leichtnimmt. »Ich denke an Dave. Er wird sich ängstigen.«
»Doktor«, sagt sie, lauthals lachend, »ich sehe, daß Ihr Ruf, eine Glucke zu sein, nicht aus der Luft gegriffen ist. Aber
in Wirklichkeit ist Dave viel weniger zu bedauern als Sie. Er sitzt im Trockenen! Und er läuft keinerlei Gefahr, ohne Abendbrot
bleiben zu müssen.«
»Sie kennen Dave nicht. Wenn ich nicht zurückkomme, gerät er in Panik. Er ist sehr sensibel.«
»Sie auch«, sagt sie in völlig verändertem Ton und mit völlig verändertem Blick. »Gott sei Dank gehören Sie nicht zu den Hartgesottenen.«
Sie läßt ihren Wallach eine Kehrtwendung machen und ruft mir über die Schulter hinweg zu: »Kommen Sie, wir wollen hier weg.
Unsere Pferde erkälten sich sonst.«
Sie reitet im Trab den Abhang hinauf, den wir eben herabgekommen |236| sind, und ich bringe Schuschka auf ihre Höhe. Mir läuft das Wasser in den Kragen, ich habe blaugefrorene Hände und eiskalte
Füße. Der Himmel ist schwarz, und obwohl das Gewitter nur noch in großer Ferne weitergrollt, hört der Regen nicht auf, im
Gegenteil. Dieser trostlos gleichmäßige Regen, der Stunden und Tage dauern kann, setzte ein, ohne sich durch plötzliche Windstille
oder heftige Schauer anzukündigen.
Außerdem macht mir ein quälender Hunger zu schaffen. Mit großem Bedauern denke ich an die Scheibe Toast, die ich Helsingforth
entrissen und von der ich nicht einmal die Hälfte gegessen habe.
Der Abhang wird schwierig, Schuschka muß sich anstrengen, ich lasse sie Schritt gehen. Jackie folgt meinem Beispiel und wirft
mir von der Seite einen belustigten Blick zu.
»Wie ist die Stimmung?«
»Schlecht.«
»Alles in allem sind Sie kein Held, Doktor.«
»Nein.«
»Sie vergessen alle Ihre Pflichten, Doktor. Sie müßten absitzen und mir nach dem Motto
Selbst-ist-der-Mann
einen Unterschlupf aus Ästen bauen, um wenigstens meinen zarten Teint vor dem Unwetter zu schützen.«
»Darauf verlassen Sie sich lieber nicht.«
»Aber Doktor, ein bißchen mutig ans Werk. Nach zwei Stunden Arbeit sitze ich im Trocknen.«
Sie lacht immer noch.
»Nach links, Doktor.«
»Wissen Sie, wohin der Weg führt?«
»Nicht im geringsten.«
Jetzt macht sie sich offensichtlich lustig über mich, denn eben hatte sie gesagt, sie kennt den Wald genau. Ich schweige.
Und wenn ich auch sprechen wollte, ich könnte es nicht. Jackie ist wie ein Wasserfall. Mir scheint, ihr selbst ist es gleichgültig,
was sie sagt. Sie ist dabei, auf ironische Art das Thema des Antihelden abzuhandeln. Mich setzen weniger ihre Worte in Erstaunen
als ihre Fröhlichkeit. Jackie strahlt vor animalischer Zufriedenheit. Ich bin sicher, das Blut kreist schneller in ihrem kräftigen
Körper, Regen und Kälte vermögen ihr nichts anzuhaben, und ihre Haut unter den Kleidern ist warm und weich.
Wir gelangen auf eine weitläufige Lichtung. Mit ihrer Peitsche |237| zeigt Jackie auf einen in Regen und Nebel kaum sichtbaren großen
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