Die geschützten Männer
Anti-Bedford-Bewegung?«
»Sie ist zahlenmäßig ziemlich groß und gut bewaffnet, besonders in dieser Gegend. Kanada ist ihre Zufluchtsstätte.«
»Männer?«
»In der Mehrzahl Frauen, auch einige Männer.«
»Aber das ist ja wunderbar!«
»Finde ich auch. Doch Sie werden die Guerillas nicht zu Gesicht bekommen, weil sie Blueville niemals angreifen werden.«
»Weshalb nicht?«
»Weil Sie dort sind.«
Ich sehe Jackie ungläubig an.
»Doktor«, sagt sie ernst und bedeutungsvoll. »Sie scheinen sich nicht im klaren darüber zu sein, daß Ihre Forschungsarbeit
für Millionen von Menschen eine Hoffnung darstellt.«
Mir ist die Kehle wie zugeschnürt.
»Jackie«, sage ich schließlich. »Sie wollten mir erzählen, wie Sie vom
Wir
angeworben worden sind.«
Sie lacht, steht auf, zündet sich eine Zigarette an und geht im Zimmer auf und ab. Ich sehe sie an. Ihre Silhouette und ihre
Haltung haben etwas Widersprüchliches. Ihre Uniform, ihre Stiefel, ihr Gang und ihre Art, die Schultern einzuziehen, sind
männlich und militärisch. Doch ihr Hüften schwingen, und unter ihrer Uniformjacke zeichnen sich deutlich ihre Brüste ab, zumal
sie sich geradehält. Ihr Kopf weist ebenso viele Kontraste auf: die Gesichtszüge könnten die eines Mannes sein, doch die Haut
ist glatt und zart, die Augen sind lebhaft, das Antlitz ist unvergleichlich beweglicher als das eines Mannes.
|242| »Doktor«, fährt sie mit fröhlicher, hintergründiger und komplizenhafter Miene fort, so daß ich meine Ohren ganz weit aufsperre,
»vor ungefähr vier Wochen ließ Rita, deren Zimmer dem meinen gegenüberliegt, mich um zehn Uhr morgens wissen, daß die Baracken
der Milizionärinnen durch Spezialisten aus Montpelier von oben bis unten durchsucht würden. Rita schlug mir vor, ihr jeden
verbotenen Gegenstand
, den ich in meinem Besitz haben könnte, anzuvertrauen. Ich tat es zu meinem Glück. Eine Stunde später wurde mein Zimmer durchkämmt.
Doktor, haben Sie eine Vorstellung von dem fraglichen Gegenstand?«
»Ich glaube, ja.«
Sie fängt völlig ungezwungen zu lachen an, rückt näher ans Feuer und hält abwechselnd die eine und die andere Stiefelsohle
in die Nähe der Flammen.
»Noch eine Frage, Doktor?«
»Ja. Wissen Sie, warum das
Wir
Ihnen den Auftrag gab, persönlich die Versorgung Helsingforths zu übernehmen?«
Schweigen. Ich bemerke, wie sie zögert, bevor sie eine Antwort gibt. Ihre Antwort fällt knapp aus.
»Das
Wir
ist der Meinung, daß Ihr Schicksal seit Anitas Abreise nach Paris allein von Helsingforth abhängt.«
Daraufhin Schweigen. Sie läßt es dabei bewenden und wechselt das Thema.
»Im übrigen ist es sehr lehrreich, mit Helsingforth und Audrey Kontakt zu haben. Ebenso lehrreich wie das Treiben, das sich
mit offizieller Billigung in den Baracken der Milizionärinnen abspielt. Wissen Sie, Doktor, ich frage mich, ob es sich wirklich
lohnt, die Männer zu eliminieren. Ich stelle fest, daß sich innerhalb des weiblichen Geschlechts ein zweites Geschlecht konstituiert
und Pärchen sich herausbilden – mit allen Problemen eines Ehepaars, einschließlich der Frage, wer abwäscht und wer von beiden
den andern beherrscht: der ›Starke‹ den ›Schwachen‹ oder umgekehrt.«
»Ich nehme an, daß Audrey abwäscht?«
»Daran besteht kein Zweifel. Audrey hat den Status einer Haussklavin, doch ist es nicht sicher, ob sie ›beherrscht‹ wird.«
Erneutes Schweigen. Dann wirft Jackie mit entschlossener Miene die Zigarette ins Feuer, verläßt das Zimmer und kehrt mit ihrem
Gewehr zurück, das sie in eine Ecke stellt, neben einen kleinen Nachttisch. Danach überprüft sie systematisch die |243| Verschlüsse an Türen, Fenstern und Fensterläden. Der Regen trommelt noch immer heftig auf das Dach. Ich folge Jackie mit den
Augen.
»Haben Sie ein Plätzchen frei, Doktor?« fragt sie und setzt sich neben mich auf das Bett. Ihre Augen blitzen vor Vergnügen.
»Doktor, Sie haben doch erraten, welchen verbotenen Gegenstand Rita für mich versteckt hat.«
»Ja, das habe ich.«
»Was Sie aber nicht wissen, ist, daß ich ihm einen bürgerlichen Namen gegeben hatte. Oh, ja«, fährt sie ausgelassen fort,
»das ist die Kraft der Phantasie: ich hatte es mir angelegen sein lassen, diesen
Ersatz
zu personifizieren. Und wollen Sie, Doktor, nun nicht fragen, welchen Namen ich ihm gegeben hatte?«
»Ich frage Sie nicht danach, aber Ihnen scheint viel daran zu liegen, es mir zu verraten.«
Sie
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