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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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sachlich pflichtgemäß mit, daß ich auf den
     Ausflug zu Pferd mit Stien und Jespersen verzichte, da im Labor ein Experiment läuft, das ich überwachen möchte. »Aber wie
     Sie wünschen, Dr. Martinelli, sagt er mit bedächtigem, salbungsvollem Lächeln, das sich über seine Hängebacken ausbreitet
     und mich aus unerfindlichen Gründen demütigt. Er fügt mit seiner sanften und gleichzeitig harten Stimme hinzu: »Es versteht
     sich von selbst, daß die Sonntagsausflüge zu Pferde nicht obligatorisch sind. Schließlich hat man ja das Recht, mal etwas
     müde zu sein.« Sich in den fetten Hüften wiegend, entfernt er sich nach diesen zweideutigen Worten mit erstaunlicher Beweglichkeit,
     als ob seine dicken Beine wie Bälle vom Boden abprallten.
    Dave wiehert vor Freude wie ein Fohlen, als ich ihm sage, daß ich, abgesehen von ein, zwei Gängen ins Labor und einem Mittagsschlaf,
     den ganzen Tag mit ihm verbringen werde – im Swimmingpool oder auf dem Tennisplatz? »Du kannst es dir aussuchen. Beides!«
     sagt er begeistert.
    Ich hoffe, daß ich auf dem Tennisplatz mithalten werde; die drei Stunden, die ich gestern und heute früh zu Pferd verbrachte,
     haben meinem Gesäß ebenso mitgespielt wie die letzte Nacht meinen Schenkeln.
    |246| Im Labor, wohin ich nach dem Frühstück gehe, kommt mir Dr. Grabel entgegen, kaum daß ich die Tür aufgemacht habe. Es ist Sonntag,
     aber angesichts der Bedeutung des Versuchs bin ich nicht erstaunt, ihn hier anzutreffen. Seine stechenden kleinen schwarzen
     Augen glänzen vor Erregung. Er beugt seine große hagere Gestalt vor, um mir erregt zu sagen: »Ich glaube, wir sind jetzt soweit!«
    Für mich eine klare Aussage, wenn auch nur angedeutet – man muß mit der Abhöranlage rechnen. Wortlos gehe ich an Grabel vorbei
     und erreiche mit langen Schritten den Raum, in dem wir unter doppeltem Verschluß unsere Versuchstiere halten.
    Ein Blick genügt. Der infizierte, aber nicht geimpfte Testhund ist tot, während die drei geimpften und infizierten Hunde quicklebendig
     sind. Und als wir an sie herantreten, überschlagen sie sich vor Dankbarkeit über den Besuch, winseln leise vor Erregung und
     wedeln heftig mit den Schwänzen. Ich nähere mich den Käfigen und streichle jeden Hund einzeln. Welche unaussprechliche Zärtlichkeit,
     welche unerklärliche Liebe glänzt in den schönen braunen Augen unserer Opfer, die so vertrauensselig, so offenherzig und den
     menschlichen Augen so wenig ähnlich sind.
    »Haben sie gefressen?« frage ich Grabel.
    »Gefressen und getrunken. Ich habe sie an einer Leine laufen lassen. Keinerlei Gleichgewichtsstörung. Alles in Ordnung. Die
     Tiere sind völlig wohlauf.«
    Ich hatte dieses Resultat erwartet und bin überaus glücklich, vielmehr wäre glücklich, wenn mich nicht plötzlich der Gedanke
     an das Nachfolgende überwältigt hätte. Ich senke die Stimme, obwohl ich von Burage weiß, daß sich im Hundelabor keine Abhöranlage
     befindet.
    »Dr. Grabel, ich denke, ich brauche Sie nicht an die Abmachung zu erinnern: nur Smith, Pierce und Burage werden auf dem laufenden
     gehalten. Außer ihnen darf niemand von dem Experiment erfahren.«
    »Alle Vorsichtsmaßnahmen sind getroffen«, sagt Grabel. »Wie Sie sehen, sind die Käfige der geimpften Hunde nicht gekennzeichnet.«
    Ich schweige, und das nicht ohne Grund. Ich habe immer gewußt, daß der Tag kommen würde, an dem ich mich mit dem Virus der
     Enzephalitis 16 infizieren und das Serum an mir |247| selbst erproben müßte. Ich weiß auch, daß nach all den Experimenten, die unsere armen Hunde mit dem Leben bezahlt haben, meine
     Chancen davonzukommen groß sind; vorausgesetzt, bei der Dosierung unterläuft kein Fehler, und der Mensch reagiert auf das
     Serum genausogut wie ein Hund, was wahrscheinlich, aber nicht erwiesen ist. Kurzum, ich hatte, angesichts dieser Perspektive,
     einschließlich des Unsicherheitsfaktors, alles schon seit langem erwogen. Doch bisher hatte ich von diesem entscheidenden
     Experiment, in dem ich für den Erfolg unserer Forschungsarbeit mein Leben riskieren muß, nur eine abstrakte Vorstellung. Seit
     einigen Minuten ist sie nicht mehr abstrakt. Der gefürchtete Augenblick ist gekommen, ich kann ihn berühren, sehen.
    »Machen wir einen weiteren Versuch mit den Hunden?« fragt Grabel, als hätte er mein Schweigen begriffen.
    »Nein. Die Zeit drängt. Wir gehen zur nächsten Etappe über«, sage ich tonlos.
    Da geschieht etwas völlig Unerwartetes: Grabel lächelt.

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