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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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keine Bedeutung beimaß. Erst heute erkenne ich ihre politische
     Tragweite.
    Ich sehe Burage bewundernd an.
    »Und was geschah nach Mr. Barrows Verbot?«
    »Ach, das war phantastisch!« sagte Burage mit blitzenden Augen. »Ohne es zu wissen, hat der alte Kastrat unserer Sache einen
     großartigen Dienst erwiesen! Nach dem Verbot verwandelte sich die Puppe in einen illegalen Gegenstand, beinahe in ein Symbol
     des Widerstands. Sie wurde – in jeglicher Hinsicht – zur verbotenen Frucht! Es gab Durchsuchungen, und während dieser Durchsuchungen
     – uns hatte Mrs. Barrow gewarnt – fand man immer wieder Puppen. Aber bei wem? Bei den Spitzeln und Bedfordistinnen … Die wurden
     wir auf diese Weise los, auf einen Schlag. Die Puppen waren eine regelrechte Manie. Alle fingen an, heimlich welche herzustellen,
     ihnen Kleider und Unterwäsche zu nähen. Und die alleinstehenden Frauen nahmen |317| die Gewohnheit an, sich heimlich zu treffen, um dunkle Geschäfte zu machen und ihre ›Babys‹ miteinander zu vergleichen. Sogar
     die Milizionärinnen beteiligten sich daran! Jackie drückte beide Augen zu, genauer gesagt, nur eins, machte die ›guten Mütter‹
     aus ihrem Kreis ausfindig und nannte sie Rita, die sofort ans Werk ging.«
    Als ich Burage fragte, wie sie auf den Fluchteinfall gekommen ist, antwortete sie mir: »Aus Eifersucht. Ich war entsetzlich
     eifersüchtig, Ralph, auf alle Frauen, die mit dir in Berührung kamen: Anita, Crawford, Helsingforth, Jackie, Pussy und insbesondere
     Bess. Ja, Bess! Ich weiß, es ist verrückt. Aber ich hatte mich, ich kann es mir selbst nicht erklären, an Bess festgebissen.
     Ich verabscheute sie, ohne sie jemals gesehen zu haben. Ich fand es vor allem höchst ungerecht, daß einer Hure erlaubt war,
     was eine tüchtige Laborantin nicht durfte. Aus deiner Beschreibung (du beschreibst sehr gut!) wußte ich, daß Bess ungefähr
     meine Größe und meine Figur hatte. Du wirst vielleicht darüber lachen, aber eines Abends machte ich mich wie Bess zurecht
     – falsche Wimpern, stark geschminkte Augen und blutrote Lippen. Jackie überraschte mich dabei, fing schallend an zu lachen
     und holte eine blonde Perücke, die sie einer Milizionärin weggenommen hatte. Ich setzte sie auf, und Jackie, die Bess durch
     die Kontrolle am Wachtturm kannte, bestätigte mir die frappierende Ähnlichkeit. So herausgeputzt, schlug sie vor, sollte ich
     gegen neun zu dir gehen und »eine kleine Entnahme« vornehmen. Wie zwei Irre verbrachten wir eine geschlagene Stunde damit,
     diesen Einfall nach allen Seiten durchzuprobieren. Ich vermute, ein spielerisches Ventil für eine sexuelle Frustration, unter
     der wir mehr und mehr zu leiden hatten. Kurzum, in jener Nacht und in den folgenden Nächten träumte ich davon, Bess verschwinden
     zu lassen, ihren Platz einzunehmen und an deine Tür zu klopfen … Und damit lüftet sich das Geheimnis, Ralph: Dieser Traum
     brachte mich auf die List …«
     
    Hier nun, Stunde für Stunde, der Ablauf der Flucht.
    Um acht Uhr, nach dem Abendbrot, schicke ich Dave in unsere Unterkunft und begebe mich ins Labor, wo mir Burage, bleich und
     innerlich erregt, den mit einer Droge gemischten Whisky gibt. Das Serum, so war vereinbart, sollte Burage selber an sich nehmen.
    |318| Viertel nach acht bin ich in meiner Baracke, genauer gesagt, in Daves Zimmer. Und entsprechend der Vereinbarung mit Jackie
     setze ich mich wortlos hin, nehme ein Blatt Papier und schreibe mit Filzstift auf, was passieren wird und was Dave seinerseits
     zu tun hat. Dann gebe ich ihm das Blatt und beobachte ihn, während er liest. Er richtet sich auf, errötet, holt tief Luft;
     seine Augen fangen an zu blitzen. Ich habe einen sehr glücklichen Jungen vor mir.
Huckleberry Finns Abenteuer
bekommen eine Fortsetzung, sein Vater und er selbst sind die Helden, und diesmal nicht auf einem Floß, sondern in einem Lieferwagen
     Marke Ford. Ich beuge mich über ihn und unterstreiche mit dem Finger die Anweisungen des
Wir
, die ihn betreffen. Strahlend und voller Eifer liest Dave sie immer wieder, und ich sehe an der Bewegung seiner Lippen, daß
     er sie auswendig lernt. Ich bin nahe daran, ihn zu umarmen und zu küssen, doch fällt mir gerade noch rechtzeitig ein, daß
     ihn ein solches Verhalten schockieren könnte, weil es so wenig den Klischeevorstellungen vom Abenteuer entspricht. Ich hole
     die Streichhölzer aus der Küche und gebe sie ihm. Mit ernstem, fast andächtigem Gesicht verbrennt Dave das

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