Die geschützten Männer
verheiratet …«
»Aber ich bitte Sie, das macht mir überhaupt nichts aus«, sagte Mr. Mills, wieder kurz auflachend.
»Darf ich Sie fragen, weshalb nicht?«
»Hören Sie, ich will Ihnen ein Geständnis machen: Vor meiner Weihe bei den A.s war ich dermaßen überarbeitet und hatte solche
Geldsorgen, war auch durch meinen Infarkt so herunter, daß ich meine Frau schon wer weiß wie lange nicht mehr angerührt hatte,
zwei Jahre vielleicht. Sie sehen also, es hat sich für mich nicht viel geändert.«
Harriett Steinfeld ergänzte dieses Interview durch einen Kommentar, den ich zuerst ziemlich unverschämt fand. Sie stellte
fest, Mills habe ebenso wie viele seiner Landsleute schon vor der Weihe seine Männlichkeit gegen Autos, Fernseher und Tiefkühltruhen
eingetauscht, weil die mit diesen Ausgaben verbundenen Belastungen dazu führten, daß er sich bei der Arbeit leer pumpte und
nicht mehr fähig war zu lieben. Sie schlußfolgerte, daß Mills im Endeffekt nicht zögerte, sich kastrieren zu lassen, weil
er es schon war.
Mir erschienen diese Bemerkungen ziemlich beleidigend. Als ich aber im Anhang las, daß Mills und die anderen Befragten das
Interview und den Kommentar vor der Veröffentlichung gelesen und gebilligt, daß sie den Interviewerinnen außerdem ihre Fotos
zur Verfügung gestellt hatten, ohne Anonymität zu |52| verlangen, begriff ich, daß sie ihren Zustand nicht als Schande empfanden, sondern darin im Gegenteil einen Wendepunkt ihrer
Karriere sahen.
Mir fiel im übrigen auf, daß die A.s in Blueville, wo sie weitaus zahlreicher vertreten waren als die PMs, ausnahmslos ein
von weitem gut sichtbares grünes Abzeichen im Knopfloch trugen, von dem sich in gotischer Schrift ein vergoldetes A abhob.
Als ich dieses Abzeichen zum erstenmal sah, erinnerte ich mich
mutatis mutandis
an die untreue Frau aus dem
Scharlachroten Buchstaben
, die im Gefängnis verurteilt wurde, das E ihres Ehebruchs auf ihr Kleid zu sticken, und die absichtlich so viele Arabesken
und Schnörkel hineinstickte, daß sich das Schandmal in ein Ehrenwappen verwandelte. Der Unterschied besteht natürlich darin,
daß das Abzeichen der Ablationisten überall sehr angesehen ist, den Ehrgeizigen alle Türen öffnet und sogar zum Sinnbild einer
gewissen moralischen Überlegenheit geworden ist.
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|53| DRITTES KAPITEL
Der Sonntag ist in Blueville arbeitsfrei. Am Morgen findet im Schloß ein Gottesdienst statt, den eine Missionarin abhält;
aber jedesmal ist es eine andere, die dieser oder jener protestantischen Richtung angehört. Wie es scheint, hat sich die katholische
Kirche auf Grund ihrer jahrhundertealten Misogynie bis heute nicht entschließen können, eine Frau zu weihen.
Die Teilnahme am Gottesdienst ist nicht obligatorisch, und Hilda Helsingforth ist dort noch nie erschienen. Dennoch nehmen
wir fast alle daran teil, ich selbst trotz meines Skeptizismus regelmäßig; nach dem Ritus findet nämlich im allgemeinen eine
ungezwungene Unterhaltung mit der Missionarin statt, und da sie von draußen kommt, hoffen wir, interessante Dinge von ihr
zu erfahren. Ohne Rundfunk und Fernsehen, nur auf die dürftigen Zeitungen angewiesen, sind wir auf Nachrichten aus der realen
Welt jenseits unserer Stacheldrahtumzäunung äußerst begierig.
Ich erinnere mich besonders an die Missionarin, die am Sonntag, dem 5. Mai, die Predigt hielt. Sie war dermaßen mager, daß
von den Formen, die sie einst gehabt haben mochte, keine Spur zurückgeblieben war und sie auf mich wie ein Neutrum wirkte.
Außerdem hatte Reverend Ruth Jettison kurze Haare und trug ein anthrazitgraues Kostüm mit Priesterkragen, wodurch sich ihr
Geschlecht noch schwerer definieren ließ. Dennoch wirkte ihr Gesicht mit der gebogenen Nase, dem markanten Kinn und den fanatischen
großen schwarzen Augen durchaus kraftvoll.
Der Gottesdienst und die Predigt fanden im Vortragssaal des Schlosses statt, in dem rund hundert Personen Platz fanden, den
wir aber nicht ganz füllten. Ich sage »wir«, doch das müßte erläutert werden, denn in der Art, wie sich das Auditorium verteilte,
ließ sich eine bestimmte Sitz- und Rangordnung erkennen, die ich schon bei meiner Ankunft in Blueville so vorfand und die
unverändert blieb, solange ich da war.
|54| In der ersten Reihe sitzen die Persönlichkeiten, die im Schloß wohnen: der Verwalter, Mr. Barrow, und seine Frau, Dr. Rilke,
Emma Stevenson, die Sekretärin von Hilda Helsingforth,
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