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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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auf. An seinem Kopfende brennt die kleine Nachttischlampe, ich finde Dave in Schweiß gebadet
     und tränenüberströmt im Bett sitzen. Ich nehme ihn in meine Arme, er schluchzt krampfhaft, und ich brauche lange Zeit, um
     ihn zu beruhigen.
    Dave, der in Wesley Heights lebte, hat die Szene, die er beschreibt, niemals mit angesehen, doch wenn er auch übertreibt –
     sie entspricht der Wahrheit. Kurz bevor ich nach Blueville kam, sah ich Männer auf der Straße zusammenbrechen, und die Passanten
     sind nicht nur ausgewichen, sondern geflohen. Ich habe Dave gegenüber kein einziges Wort fallenlassen und kann mir nicht erklären,
     woher die Eingebung für seinen |60| Alptraum kommt. Noch etwas anderes setzt mich in Erstaunen. Dave weiß nicht, daß ich jeden Augenblick aus der schützenden
     Umzäunung von Blueville verwiesen werden kann und daß mich folglich die Angst quält, nicht so sehr um mich selbst, sondern
     um ihn, den ich allein zurücklassen müßte. Und dennoch verrät sein Traum auf herzzerreißende Art die Furcht, verlassen zu
     werden.
    An diesem Abend schreibe ich Anita, während ich auf jedes Geräusch achte. Denn mir ist aufgefallen, daß Daves lautem Hilfeschrei
     kaum vernehmbare leise Schluchzer vorausgehen; wenn ich in diesem Augenblick eingreife, erspare ich dem Jungen den schrecklichsten
     Teil seines Traums: meinen Tod und seine Einsamkeit. Zumindest sagt er mir das an diesem Abend, als er aufwacht. Kurz darauf
     setze ich mich wieder an meinen kleinen Tisch. Obwohl die hölzernen Barackenwände doppelt und sehr gut isoliert sind, ist
     es kalt, die Heizung ist nur lau. Nachts wird in Blueville Energie gespart. Ich ziehe einen Pullover an und darüber einen
     dicken Morgenmantel, in den ich mich fest einhülle. Als ich gerade wieder den Füller in die Hand nehme, kommt Dave herein,
     ebenfalls eingemummt.
    »Stör ich dich, Ralph?«
    »Nicht im geringsten.«
    Er setzt sich auf mein Bett, ich drehe mich um und schaue ihn an. Er ist gewachsen, magerer geworden und ein bißchen blaß.
     In seinem schmalen, spitzen Gesicht nehmen die schwarzen Augen mit den langen dichten Wimpern sehr viel Platz ein.
    »Du arbeitest, Ralph?«
    »Nein, ich schreibe einen Brief.« Und weil er in seiner üblichen diskreten Art schweigt, füge ich hinzu: »An Anita.«
    Nach kurzem Schweigen sagt Dave, in dessen Stimme sich schon der Stimmbruch ankündigt: »Willst du nicht doch wieder zu den
     kleinen Zusammenkünften abends im Schloß gehen, Ralph?«
    Das ist schon der erwachsene, feinfühlige, ganz um die anderen besorgte Dave.
    »Ach weißt du, da war es nie sehr unterhaltsam«, sage ich leichthin.
    Ohne Übergang, der mir dennoch gegeben scheint, fährt er plötzlich fort: »Und Anita, wird sie bald kommen?«
    |61| Diesmal begreife ich schneller. Ich sehe den Zusammenhang: Dave ist nicht seinetwegen in Sorge, sondern meinetwegen. Er ist
     von Anita enttäuscht, wie sein Alptraum, in dem eine rothaarige Frau ihn zurückstößt, verdeutlicht. Wenn sie kommt, beschäftigt
     sie sich mit ihm sowenig wie möglich, sie hält ihn sich vom Leibe. Man könnte meinen, daß sie Angst hat, sich an ihn zu hängen.
     Trotzdem bringt oder, besser gesagt, brachte sie ihm – denn jetzt gibt es ja nichts mehr – luxuriöse Geschenke mit, die aber
     leider immer fehl am Platze waren, zu kindlich oder zu anspruchsvoll, und ihn in jedem Falle demütigten. Dave fühlte sehr
     wohl, daß er mit diesen Geschenken nur mangels einer tieferen Empfindung überschüttet wurde.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich leichthin. »Sie hat nicht angerufen, sie muß sehr beschäftigt sein.«
    Schweigen. Ich bin mir nicht sicher, ob Dave mir meine Sorglosigkeit abnimmt, denn er sieht mich prüfend an. Dann blinzelt
     er und gähnt und reckt sich.
    »Ich gehe ins Bett«, sagt er.
    Ich nicke, und ganz unvermittelt sagt Dave mit völlig veränderter, sanfter, kläglicher, kindlicher Stimme: »Trägst du mich,
     Ralph?«
    Nachdem er sich so erwachsen gezeigt hat, gefällt mir dieser Rückfall ins Babyhafte nicht. Ich möchte mich am liebsten weigern.
     Aber ich wage es nicht. Ich weiß nicht, welche Auswirkungen eine abschlägige Antwort auf Dave hätte. Möglicherweise bin ich
     kein sehr guter Pädagoge, aber ich habe eine Regel: Ich repariere eine Uhr nicht mit dem Hammer.
    Ich gebe nach. Vielleicht macht ihm das entgegen meiner Absicht gezeigte Zögern deutlich, daß ich unzufrieden mit ihm bin.
     Ich fasse Dave unter die Achseln, hebe ihn hoch,

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