Die geschützten Männer
Bitterkeit, denn sie sind nicht alle häßlich, ganz im Gegenteil. Mich packt die Wut, wenn ich von meinem Tisch in
der Cafeteria oder vom Sessel im Salon mit ansehe, wie sie diesen Kastraten zulächeln oder gar mit ihnen kokettieren. Aber
ich stelle auch fest, daß das alles distanziert und ziemlich formell bleibt. Man könnte meinen, daß die A.s in ihren Augen
immer noch ein wenig verdächtig sind, selbst wenn sie sich von der Erbsünde gereinigt haben.
Die A.s sind alles Männer um die Fünfzig. Ihre Nachkommen, falls sie welche hatten, sind erwachsen und in alle Welt |64| verstreut. Auf jeden Fall haben sie genauso wie die »alleinste henden Frauen« kein Mitleid mit den unsrigen. Denn die Diskriminierung, der wir ausgeliefert sind, erstreckt sich auch auf unsere
Kinder, wobei seltsamerweise kein Unterschied zwischen Mädchen und Jungen gemacht wird. Man könnte meinen, die Art, wie sie
gezeugt wurden, hat sie in Mißkredit gebracht. Trotzdem, weder die »alleinstehenden Frauen« noch die A.s sind anders zur Welt
gekommen. Will man womöglich eine Methode verändern, die sich seit zwei Millionen Jahren bewährt hat? Ich stelle mir diese
Frage, weil ich gestern in der
New York Times
– die nur noch der Schatten ihrer selbst ist – einen von Deborah Grimm gezeichneten Artikel gelesen habe, der folgenden verblüffenden
Satz enthält: »Der Geschlechtsakt sollte aufhören, das von der Gesellschaft benutzte Mittel zur Auffrischung der Bevölkerung
zu sein.«
Auf den ersten Blick ist man versucht, die Achseln zu zucken. Ich hüte mich davor. Von Anita weiß ich, daß Deborah Grimm zur
unmittelbaren Umgebung der Präsidentin Bedford gehört und daß sie im Begriff ist, stärkeren Einfluß auf die Präsidentin auszuüben
als Anita selbst.
Anita meint – und darin stimme ich mit ihr überein –, daß es weder dem Staat noch seinen Gesetzen oder seinem Unterdrückungsapparat
zusteht, darüber zu befinden, ob eine Frau ein Kind haben soll oder nicht. Das Recht der Frau, über ihren eigenen Körper zu
verfügen, ist unveräußerlich. Die wahre Achtung vor dem Leben ist die Achtung vor der Frau, die als freies Agens betrachtet
wird, nicht als Objekt, aus dem – ob sie es will oder nicht – die zukünftigen Bürger hervorgehen, derer der Staat bedarf.
Die Frau ist keine Maschine, die Soldaten, Arbeiter oder Gläubige produziert. Sie hat darüber zu entscheiden – sie allein.
Schwerwiegend erscheint mir an Deborah Grimms Standpunkt, daß sie, während sie scheinbar weiter geht als Anita, in Wirklichkeit
in ausgefahrene Geleise zurückfällt. Man beachte das Kategorische ihres Satzes, der keine Wahl zuläßt: »Der Geschlechtsakt
sollte aufhören, das von der Gesellschaft benutzte Mittel zur Auffrischung der Bevölkerung zu sein.«
Mit welcher erschreckenden Macht stattet Deborah Grimm hier die Gesellschaft aus! Demnach hätte die Gesellschaft – die ja,
wenn ich mich nicht irre, dem Menschen dienen, nicht ihn |65| versklaven soll – das Recht, die Natur aus den Angeln zu heben und die Individuen der Möglichkeit zu berauben, daß sie sich
paaren, um sich fortzupflanzen? Ich glaube zu träumen: was wird bei solcher Perspektive aus der Freiheit der Frau? Während
der reaktionäre Staat sie dazu verurteilt hat, gegen ihren Willen Mutter zu sein, wäre sie jetzt dazu verurteilt, es nicht
mehr zu sein, selbst wenn sie es wollte?
Sollte Deborah Grimms Programm Wirklichkeit werden – was für eine traurige Welt wäre das! Keine Beziehungen mehr zwischen
Mann und Frau, der Begriff Mutter überholt, die Babys künstlich produziert und von Geburt an Krippen anvertraut, in denen
sie rund um die Uhr ein anonymes Dasein fristen … Welch eine düstere Einöde und unmenschliche Menschheit! Worin würde dann
der Sinn des Lebens bestehen? Wozu noch die »Auffrischung der Bevölkerung«, wie Deborah Grimm sagt? Wozu die menschliche Gattung
fortpflanzen? Wie fortpflanzen? Wie sollte jenes animalische Bedürfnis, Nachkommen zu haben, beschaffen sein, wenn die Menschen
als Fertigware auf die Welt kommen? Und welchen Sinn könnte wohl die »Auffrischung« dieser Produkte haben? Wenn ich recht
verstehe, würde man Menschen produzieren, damit sie ihrerseits produzieren und – konsumieren! Welch ungeheuerliche Absurdität!
Man würde
Kinder ersatz
herstellen, der Milch
er satz
trinken müßte.
Abends im Schloß erzähle ich Stien von Deborah Grimms Artikel und lese ihm laut den
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