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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Satz vor, den ich mit Bleistift unterstrichen
     habe. Er runzelt die Brauen und sagt übelgelaunt: »Ich weiß nicht, ob das für die Menschen wünschenswert ist, aber rein wissenschaftlich
     ist es möglich.«
    Ich bin im Begriff, ihm ausführlichere Fragen zu stellen, doch Mutsch wirft uns einen entsetzten Blick zu, und ich schweige.
     Ganz offensichtlich denkt Mutsch, daß wir unvorsichtig waren: Stien hat zuviel gesagt, und ich hätte meinerseits nicht so
     offen über den Artikel sprechen sollen.
    Ich weiß nicht, ob es auf unsere doppelte Unvorsichtigkeit zurückzuführen ist, jedenfalls bekommen wir seit jenem Tag die
New York Times
immer seltener.
     
    Ich habe schon von der Unergiebigkeit, dem Stillschweigen und der Fadheit der Zeitungen gesprochen. Wenn man heutzutage |66| die
New York Times
oder die
Washington Post
liest, könnte man meinen, daß auch sie vom Ungeist der Zeit entmannt wurden. Die Presse machte einst dem Herrn des Weißen
     Hauses, wer immer es war, weiß Gott das Leben schwer. Diese Zeiten sind vorbei. Die wenigen Exemplare, die uns von Zeit zu
     Zeit in immer unregelmäßigeren Abständen erreichen, bringen über Sarah Bedford nur seichte und widerliche Lobreden; hin und
     wieder sind ihnen Porträts beigegeben, in denen sie als ein Muster an Tugend verherrlicht wird.
    Darüber bin ich platt. Denn vor nicht allzu langer Zeit, vielleicht vor fünf oder sechs Jahren, machte Sarah Bedford in den
     Massenmedien dadurch von sich reden, daß sie in Washington an der Spitze von etwa zwanzig Frauen durch die 14. Straße zog;
     sie alle schwenkten Papierschilder mit der Aufschrift:
     
    WIR SIND LESBISCH.
    NA UND?
     
    Diese Sorte Schilder schrecken mich nicht. Ich sehe auch keinen plausiblen Grund, die Homosexuellen zu verfolgen, was hierzulande
     so lange mit so gutem Gewissen praktiziert wurde. Ich kann aber den heuchlerischen und honigsüßen Ton nicht ausstehen, in
     dem man jetzt über Sarah spricht, als ob sie plötzlich die Jungfrau Maria – ohne das Kind – geworden wäre.
    Nicht durch die Presse selbst – man hat uns diese Exemplare in Blueville offenbar unterschlagen –, sondern von Anita weiß
     ich, wie es dazu gekommen ist.
    Als die Epidemie die Politiker des Kongresses dahinzuraffen begann, ließ Sarah Bedford über ein Gesetz abstimmen, das sogenannte
     »Stellvertretergesetz«, das für jeden Abgeordneten und für jeden Senator die Einsetzung eines weiblichen Vertreters vorsah,
     der im Falle des Ablebens
ipso facto
den Platz im Repräsentantenhaus bzw. im Senat einnehmen sollte. Unglücklicherweise veränderten die Betroffenen selbst das
     Gesetz durch einen Zusatz, der die Frauenwahl völlig ihres demokratischen Charakters beraubte, sie gaben sich das Recht, ihre
     Vertreterin selbst zu bestimmen und den Wählern zur Abstimmung vorzuschlagen. Dem lag die Absicht zugrunde, das Kräfteverhältnis
     zwischen den beiden großen Parteien aufrechtzuerhalten: so stellten die Demokraten demokratische Frauen und die Republikaner
     republikanische Frauen.
    |67| Es kam noch schlimmer. Als ob das von den Wählern erteilte Mandat gleichsam ein verbrieftes Recht wäre, das in der Familie
     zu bleiben hat, bestimmte die Mehrheit der Kongreßmitglieder ihre eigenen Ehefrauen zu ihren Vertretern. Vielleicht glaubten
     sie, auf diese Weise das Mittel gefunden zu haben, ihren eigenen Tod zu überleben. Das war auf jeden Fall eine verhängnisvolle
     Rechnung, denn die Witwen, die in wachsender Zahl in den Kongreß einzogen, waren politisch sehr wenig gebildet und wenig auf
     Sitzungen erpicht; sie sahen ihre Funktion vor allem als eine von der Bundesbehörde gezahlte Pension an. Zu Beginn wenigstens
     stellten sie für die Präsidentin eine beispielhaft fügsame Mehrheit dar.
    So kam es, daß die Witwen, die seinerzeit die Mehrheit in der gesetzgebenden Körperschaft ausmachten, mit geschlossenen Augen
     ein Gesetz über die Massenmedien billigten, das die verzweifelten Proteste der überlebenden Männer auslöste. Alle Bemühungen
     dieser altgedienten Politiker erwiesen sich aber als nutzlos. Dabei hatten sie recht, wenn sie das »Sicherheits gesetz « – so wurde es von Sarah Bedford bezeichnet – als einen verbrecherischen Anschlag auf die Verfassung der Vereinigten Staaten
     und die Pressefreiheit entlarvten. Die Witwen aber sahen in dem leidenschaftlichen Widerstand der Männer eine chauvinistische
     Reaktion gegen das Geschlecht der Präsidentin, und sie setzten sich durch.
    Das Gesetz

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