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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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drücke ihn gegen meine Brust. Sofort schlingt er mir die Arme um den Hals
     und schmiegt sein Gesicht an meine Wange. Wie immer, bin ich gerührt. Dieser kurze Augenblick gibt mir neue Kraft in einem
     nicht einfachen Leben.
    Ich will hier nicht schwarzmalen. Wenngleich in Blueville die Angst mein eigentlicher Beruf ist, denn sie füllt mich beständiger
     aus als die trotz allem lebhafte Sorge um meine Forschungen, gewöhnt man sich an alles, auch an die Furcht. Selbst ein zum
     Tode Verurteilter muß in seiner Zelle Augenblicke haben, wo sich die Gedanken an die Zukunft aus ihrem |62| Schraubstock befreien. Ohne diese Atempausen könnte er nicht leben. Wenigstens das eine kann ich über unser Leben in Blueville
     sagen: Unser Todesurteil steht nicht fest.
     
    Was allerdings an unserer Situation vielleicht am schwersten zu ertragen ist, ist ihre völlige Undurchschaubarkeit.
    Jespersen, Stien und ich reden oft darüber, wobei wir einige Vorsichtsmaßnahmen treffen, denn wir sind überzeugt, daß es überall
     Abhöranlagen gibt. Keiner von uns dreien und keiner der PMs hat Hilda Helsingforth jemals gesehen. Wir wissen, daß sie da
     ist und ganz in der Nähe, denn Mr. Barrow hat mit ihr in unserer Gegenwart per Haustelefon gesprochen. Doch bleibt sie unsichtbar
     wie Gottvater, allwissend und allmächtig wie er, aber nicht voll unendlicher Güte.
    In knappen Mitteilungen, die jeglicher Höflichkeitsformel entbehren und deren Kürze allein schon eine Beleidigung ist, erteilt
     sie uns immer nur Abfuhren und Verweise. Ich schrieb ihr bei meiner Ankunft in Blueville einen Brief, in dem ich sie fragte,
     ob es nicht möglich wäre, ein Pony für Dave zu bekommen: Der Kauf könnte durch Abzüge von meinem Gehalt beglichen werden.
     In meiner Naivität war ich so weit gegangen, ihr zu berichten, wie sehr Dave der Verlust seines Connemara getroffen hatte.
    Acht Tage später erhielt ich folgende Antwort:
     
    Dr. Martinelli,
    wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß die PMs weder mir zu schreiben noch mich anzurufen noch um Unterredungen zu bitten haben.
    Was den Gegenstand Ihres Briefes betrifft, so wollen Sie ebenfalls zur Kenntnis nehmen, daß mich Ihre familiären Probleme
     nicht interessieren.
    Hilda Helsingforth
     
    Ich habe Stien diesen Brief vorgelesen, und er sagte nur halblaut: »Typisch!«
    Die »alleinstehenden Frauen« (wir nennen sie so, weil sie in Blueville ohne Gefährten sind, wir haben keineswegs Vorurteile
     in bezug auf ihre Vergangenheit) nehmen uns gegenüber die gleiche Haltung ein, mit der uns die A.s begegnen. Bei der Arbeit
     in den Labors haben wir zu ihnen und zu den A.s Beziehungen, |63| auf die ich noch zurückkommen werde. Doch außerhalb des Labors sind wir für die Frauen wie für die A.s Luft. Annäherungsversuche
     unsererseits werden sofort zurückgewiesen, die Münder verschließen sich, die Blicke fliehen uns, man wendet sich von uns ab.
     Nicht nur die PMs, sondern auch ihre Frauen – außer Mrs. Pierce! – sind zur Nicht-Existenz verurteilt. Strenggenommen leben
     wir nicht in einem Ghetto, denn im Schloß gibt es für alle nur eine Cafeteria; doch wenn man sein Gericht zusammengestellt
     hat und sich versehentlich an einen Tisch setzt, an dem schon A.s oder alleinstehende Frauen Platz genommen haben, bricht
     das Gespräch ab, und das Schweigen wird eisig.
    Gegen Morgen stelle ich mir in schlaflosen Augenblicken immer wieder die gleichen Fragen: Warum behandelt man uns so? Was
     haben wir getan? Wessen sind wir schuldig? Welche Gefahr stellen wir dar? Ich will mit Stien darüber sprechen, doch an diesem
     Morgen ist er sehr schlecht gelaunt und läßt mich abblitzen. »Du bist ein richtiger Goi, du bist schlapp, du jammerst über
     alles. Worüber beklagst du dich eigentlich? Du bekommst gutes Essen, man schlägt dich nicht, man spuckt dir nicht ins Gesicht,
     du hast eine interessante Arbeit. Also mach es wie ich, pfeif auf den Rest.« Mit düsterer Miene fügt er hinzu: »Ich habe Schlimmeres
     erlebt.«
    Ich glaube ihm, daß er Schlimmeres erlebt hat, bevor er Deutschland 1936 verließ. Ich nehme es ihm also nicht ab, daß er auf
     alles pfeift, denn seine Laune ist fürchterlich. Immer häufiger explodiert er auf jiddisch, und Mutsch hat Mühe, ihn zu beruhigen.
     Er besitzt offensichtlich kaum mehr Geduld, als er mir selbst empfiehlt.
    Die »alleinstehenden Frauen« unterhalten zu den A.s während und nach den Mahlzeiten gesellschaftliche Kontakte; ich registriere
     das mit

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