Die geschützten Männer
sondern folgen uns diskret
in zwanzig, dreißig Metern Entfernung; die Route legen wir selbst fest. Darüber diskutieren wir am Vorabend sehr ausgiebig,
weil das fast die einzige Freiheit ist, die uns bleibt. Doch meist entscheiden wir uns für den gleichen Weg: wir reiten eine
Weile in der Ebene Trab und Galopp, dann schlagen wir im Norden die Gebirgspfade ein.
Es sind Waldwege, die sich durch Tannengehölz schlängeln, breit genug für Lastkraftwagen. Wir haben also ausreichend Platz,
um alle drei auf gleicher Nasenlänge Stiefel an Stiefel zu reiten, ohne ein Wildwerden der Pferde befürchten zu müssen. Vorausgesetzt,
daß meine Stute in der Mitte läuft.
Sie heißt Schuschka. Kein Tier in Blueville würde wagen, ihr die Achtung zu versagen, und ich weiß nicht, worauf man diese
Macht zurückführen sollte, wenn nicht auf ihren resoluten Charakter. Schuschka ist nämlich klein, ganze eins fünfundfünfzig
im Widerrist, und sicherlich leichter als die großen Pferde, die sie in Schach hält.
Sobald der Pfad ansteigt, reiten wir Schritt. Das ist der Augenblick, wo Jespersen, Stien und ich miteinander schwatzen, |70| besser gesagt: Stien hört uns zu, denn der ungestüme und etwas schrullenhafte junge Jespersen (bei alledem ein ausgezeichneter
Chemiker) spricht endlos über Jackie und Pussy, und ich halte mit. Stien, der mit krummem Rücken auf seiner Stute Myrta sitzt,
nachdem er mit großer Mühe aufgesessen ist, runzelt die Brauen, knurrt, zuckt mit den Achseln, zieht eine Schippe und rückt
ohne Unterlaß mürrisch sein Tirolerhütchen zurecht.
Nach einer Weile wende ich mich halb zu ihm um und versuche, ihn ins Gespräch zu ziehen.
»Was hältst du denn davon, Stien?«
»Ich habe keine solchen Probleme«, sagt Stien verdrießlich. »Ich bin verheiratet.«
Jespersen lacht schallend. In unserer Lage ist es erfrischend, solche sorglose Fröhlichkeit mitzuerleben. Jespersen mit seinen
blauen Augen, seinem durchschimmernden Teint und seinen fast weißblonden Haaren beugt sich lachend über den Sattelknopf und
reckt sich dann breitschultrig, mit schmalen Hüften und einem schön flachen, muskulösen Bauch, wie ihn junge Männer haben.
Seine kindliche Ausgelassenheit hat völlig von ihm Besitz ergriffen. Ich weiß genau, was ihn so belustigt. Er denkt an Mutschs
Schmährede gegen Ruth Jettison vom vergangenen Sonntag, vor allem an den letzten Satz. Wenn wir unter uns sind, wiederholt
er ihn unaufhörlich und findet ihn äußerst komisch. In seiner Naivität kann er sich nicht vorstellen, daß ein Paar im Alter
von Stien und Mutsch noch miteinander schläft.
»Ich bin auch verheiratet«, sage ich zu Stien, »doch wenn die eheliche Abwesenheit andauert, wird es für mich problematisch.«
Lachend sagt Jespersen: »Dann muß ich dich warnen – Jackie gehört mir.«
Das kommt mir vor wie das Wunschdenken der Kinder: über ein Wesen oder eine Sache verfügen, ohne sie zu besitzen. Aber ich
halte mit, ich bin kein Spielverderber. Und warum soll ich es nicht eingestehen: obwohl es kindisch ist, finde ich Vergnügen
daran.
»Ich ziehe Pussy vor«, sage ich. »Pussy hat ein reizendes Gesicht. Sie ist katzenhaft und heimtückisch. Ich nehme Pussy. Mit
oder ohne Uniform.«
|71| »Ihr seid nicht ganz normal«, sagt Stien bärbeißig. »Jess ist zwölf Jahre alt und du zwölfeinhalb.«
»Aber Stien, man kann sich auch mit sechzig Jahren noch für Mädchen interessieren«, sage ich.
»Aber nicht für solche.«
»Gefallen sie dir nicht?«
»Ich pfeife drauf.«
Weil ich Stien verdecke, beugt sich Jespersen über seinen Sattelknopf und stützt sich mit beiden Händen auf den Hals seines
Pferdes, um ihn besser sehen zu können.
»Was hast du gegen sie, Stien?«
Schweigen. Dann stößt Stien hervor:
»Sie sind mir zu sehr Goi.«
Jespersen reißt seine blauen Augen weit auf.
»Und was verstehst du darunter?«
»Na, sie sind groß, blond, sehen arrogant aus …«
Jespersen lacht.
»Aber Stien, was für ein Rassismus! Auch ich bin groß, blond und so weiter.«
»Das ist nicht dasselbe«, sagt Stien finster und blickt starr vor sich hin. »Diese Mädchen rufen Erinnerungen in mir wach.
Solche Fressen und solche Blicke habe ich schon gesehen.«
Gut. Ich verstehe, ich teile seine Empfindung. Aber daß ist noch lange kein Grund, Jess um seine Fröhlichkeit zu bringen.
Um so weniger, als Stien sich widerspricht: gestern hat er mir vorgeworfen, zu dramatisieren, und heute
Weitere Kostenlose Bücher