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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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dramatisiert er viel
     mehr. Und da ist noch ein Widerspruch, der einfach komisch ist.
    »Du witterst den Goi überall, Stien. Neulich war ich der Goi, weil ich schlapp war. Jetzt ist der Goi die Bestie. Man müßte
     sich schon einigen: ist ein Goi schlapp oder unerbittlich?«
    »Beides«, sagt Stien, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Jespersen lacht. Dann tritt Stille ein, und in der Stille lausche ich dem gleichmäßigen Hufschlag auf dem Schotterweg. Ich
     erinnere mich an jenen Augenblick: ein Sonntag im Mai, die Sonnenstrahlen fallen schräg durch die Tannenzweige. Herrlich frisches
     grünes Gras an den Wegrändern, aber trotz der Jahreszeit ein leichter, trockener Frost, Stien hat sich in seine dicke Pelzjacke
     verkrochen und das Triolerhütchen bis auf die Augen herabgezogen. Ich selbst bin froh über meinen Rollkragenpullover und bewundere
     Jess, der sich mit einem |72| dicken karierten Hemd begnügt; es ist zwar aus Wolle, läßt aber seinen muskulösen Hals weit frei. Vergessen wir nicht die
     beiden Milizionärinnen, die mit geschulterten Gewehren dreißig Meter hinter uns reiten: unsere »Kosakengarde«, wie Jess immer
     sagt.
    Ich erinnere mich an diesen Augenblick, weil sich das Folgende so schnell und so unerwartet abspielte.
    Hundert Meter vor uns gabelt sich der Weg. Zur Rechten verläuft er geradlinig nach Norden, zur Linken wendet er sich in einer
     Biegung nach Westen und später nach Südwesten. Letzteren schlagen wir immer ein. Er führt uns nach Blueville zurück.
    »Ralph«, sagt Jespersen, »erinnerst du dich an das Gedicht von Frost,
The Road Not Taken
1 ?«
    »Ja. Ich kannte es früher auswendig.«
    »Ich auch. – Warum nehmen wir niemals den rechten?« fährt Jess fort und wendet sich an Stien.
    »Weil es
verboten
ist«, knurrt Stien, und er verleiht diesem Wort jenen Klang von Unwiderruflichkeit, den es eben nur im Deutschen hat.
    » Wer
hat es verboten?« fragt Jespersen. »Ich sehe kein Schild.«
    »Die Kosakengarde«, sagt Stien.
    »Davon weiß ich nichts.«
    »Mir haben sie es gesagt, vor sechs Monaten. Und ich habe den Auftrag, es euch zu sagen, vielmehr zu wiederholen.«
    »Wie traurig«, sagt Jespersen, »ein Weg, den man niemals einschlagen wird.« Er sieht wirklich betrübt aus. »Und wenn es am
     Ende dieses Weges ein Mädchen gäbe? Ein echtes, eins, das lächelt?«
    Stien zuckt die Achseln. Ich sage kein Wort. Wirklich schade, denke ich, wie Jess dreißig Jahre alt und hinter Stacheldraht
     mit Frauen eingesperrt zu sein, die einen aus Gott weiß welchen Gründen hassen. Wir folgen dem linken Weg, aber plötzlich
     läßt Jespersen sein Pferd wenden, reitet zurück und schlägt den rechten Weg ein.
    »Du bist verrückt!« sagt Stien und bringt sein Pferd zum Stehen. »Das ist verboten!«
    |73| »Ich schlage den Weg ein, den keiner einschlug!« schreit Jespersen und galoppiert los. Sein rotkariertes Hemd leuchtet in
     der Sonne.
    »Jess! Komm zurück! Das ist Wahnsinn!« schreie ich.
    Ein gellender Pfiff zerreißt die Luft. Pussy. Bleich vor Wut, galoppiert sie heran, Jackie liegt einige Längen zurück. Zweiter
     Pfiff. Jess reitet weiter. Und plötzlich – ich traue meinen Augen nicht – bringt Pussy ihren Wallach zum Stehen, läßt die
     Zügel hängen, streift den Riemen über den Kopf, packt den Karabiner und legt an.
    »Nicht schießen!« schreie ich.
    Ich komme gar nicht zum Nachdenken. Unter dem Druck meiner Schenkel, die schneller als mein Verstand reagieren, stürzt sich
     Schuschka auf Pussys Wallach. Er scheut und macht eine Kehrtwendung, der Schuß geht los, ich höre die Kugel pfeifen, sehe
     Pussy aus den Steigbügeln rutschen und äußerst langsam wie in Zeitlupe stürzen, wobei ihr die Waffe entgleitet.
    Der Wallach entwischt und keilt außerhalb der Reichweite von Schuschka ein- oder zweimal aus, um seine Feigheit zu tarnen;
     in zwanzig Meter Entfernung fängt er an, am Wegrand zu grasen. Ich habe Mühe, Schuschka zum Stehen zu bringen, und während
     ich mit ihr fertig zu werden versuche, schreie ich irgend etwas. Stien schreit auch, und zu guter Letzt stürzt sich Jess,
     der im Galopp wieder zu uns gestoßen ist, auf Jackie und brüllt: »Sie haben auf mich geschossen.« Jackie bekommt Angst, zieht
     mit zitternder Hand ihren Revolver und richtet ihn auf Jess. »Nein, sie war es gar nicht, sondern Pussy!« schreie ich. Jess
     wird in diesem Moment vermutlich dadurch gerettet, daß unsere Pferde sehr erregt und auf engem Raum sich gegenseitig im Wege
    

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