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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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sind; Schuschka nutzt die Gelegenheit, um zu beißen und auszukeilen. Es folgt ein Augenblick äußerster Verwirrung, wir schreien
     und fluchen alle durcheinander. Wie durch ein Wunder wird Pussy von keinem Huf getroffen. Sie sitzt immer noch auf der Erde,
     ist sehr blaß. Ihr Gesicht ist schmerzverzerrt, und sie hält ihren rechten Ellbogen umklammert.
    Dieser Gesichtsausdruck und ihre gekrümmte Haltung geben mir meine Kaltblütigkeit zurück. Ein alter Reflex: Ich bin wieder
     Arzt. Ich steige ab und binde Schuschka an einen biegsamen Ast, was den Vorteil hat, daß sie aufhört zu beißen und |74| daß sich die Pferde wieder beruhigen. Ich nähere mich Pussy. Auch bei ihr kommt es zu einem Reflex der Angst. Zu meinem Glück
     ist der Revolver außerhalb der Reichweite ihrer linken Hand, dennoch will sie danach greifen, ihr rechter Arm folgt der Bewegung,
     sie stößt einen Schrei aus und krümmt sich vor Schmerz; ihr Gesicht ist leichenblaß, sie beißt sich auf die Lippen. Trotzdem
     verliert sie nicht das Bewußtsein und schreit mit sich überschlagender Stimme: »Rühren Sie mich nicht an!«
    »Reden Sie keinen Unsinn«, sage ich und knie mich neben sie. »Ich bin Arzt. Zeigen Sie mir Ihren Ellbogen.«
    Hinter meinem Rücken höre ich, wie Stien Jackie (die den Revolver wieder eingesteckt hat) heftige Vorwürfe macht und fast
     die gleichen an Jess richtet. Ich lockere Pussys Hand, die sich um ihren Ellbogen krampft, und taste mit größter Behutsamkeit
     durch die Uniformjacke nach dem Gelenk. Eine einfache Verrenkung, scheint mir, doch muß man sicherheitshalber eine Röntgenaufnahme
     anfertigen lassen. Da sie keine Anstalten macht aufzustehen, vermute ich, daß sie sich außerdem den Fuß verstaucht hat. In
     diesem Moment sehe ich meiner Patientin ins Gesicht. Pussy blickt mich an. Ein seltsamer Blick: Furcht, Widerwille, Entsetzen,
     alles ist darin enthalten. Wie enttäuschend. Sogar ein Hund wäre dankbar.
    Ich erhebe mich und gehe auf Jackie zu. Der Zusammenstoß mit Stien hat sie beruhigt. Oder war es Stiens Alter, sein graues
     Haar? War es die Ruhe von Jess? Oder die Tatsache, daß ich Pussy weder erwürgt noch vergewaltigt habe, wie man es hätte erwarten
     können?
    Als ich mich Jackie nähere, wendet sie sich mit verhaltener Wut an Jess.
    »Und behaupten Sie nicht, Sie hätten nicht gewußt, daß der Weg verboten ist. Prof. Stienemeier hat es Ihnen gesagt! Ich habe
     es gehört!«
    Ich wechsle mit Stien einen Blick. Sie hat dreißig Meter hinter uns »gehört«? Mit eigenen Ohren oder mit diesen verdammten
     Abhörgeräten? Deshalb also unter anderem die »Kosaken garde «! Krampfhaft versuche ich, mich an die vorausgegangenen Ausflüge zu erinnern, doch außer ein paar zweideutigen Scherzen über
     Pussy fällt mir nichts ein, was uns zur Last gelegt werden könnte. Doch muß sie alles für bare Münze genommen haben, weil
     sie uns solchen Haß entgegenbringt.
    |75| Jackie fängt den Blick auf, begreift, daß sie einen Schnitzer 1 gemacht hat, und wird rot, was durchaus zu ihr paßt. Sie ist ein großes, schönes Mädchen mit einem offenen, gut geschnittenen Gesicht, Typ Ingrid Bergmann, und sie ist weit davon entfernt,
     so unmenschlich zu sein, wie ihre kalten Augen und ihr eisiges Schweigen auf den ersten Blick vermuten lassen. Sie ist vom
     Feind auf offenem Gelände überrascht worden, und sie spricht mit ihm, sieht ihn an. Stien hat sie in eine Diskussion verwickelt:
     sind wir nun Wissenschaftler oder sind wir Kriegsgefangene? Sind Sie da, uns zu beschützen, oder sollen Sie auf uns schießen?
     Jackie versucht, sich zu rechtfertigen, verliert die Fassung und gleichzeitig die Kontrolle über die Situation.
    Als ich näher komme, um mit ihr über Pussy zu sprechen, stelle ich fest, daß ihr Blick seine Härte verloren hat. Mein Kopf
     befindet sich in Höhe ihres Knies, und obwohl ein solcher Gedanke in solcher Situation unangebracht ist, kommt es mir in den
     Sinn, daß ich das Mädchen ohne Nebengedanken streicheln möchte – wenn es auf diesem Gebiet ohne Nebengedanken geht, was ich
     bezweifle. Der besondere Haß, von dem Ruth Jettison in ihrer Predigt sprach, ist wohl nicht meine Stärke.
    »Wir müssen umkehren«, sage ich. »Pussy hat sich den Arm verrenkt, wir müssen sofort etwas unternehmen. Jess und ich werden
     sie auf ihr Pferd setzen. Ich hoffe, daß sie sich halten kann. Ich schlage vor, Stien und Sie nehmen Pussy in die Mitte, um
     einen Sturz zu verhindern. Jess und

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