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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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verfügte, daß jedes Informationsorgan, welches eine Nachricht oder einen Kommentar veröffentlichte, die Panik erzeugen,
     die Ordnung stören oder die Öffentlichkeit demoralisieren könnten – eine so verwaschene und allgemeine Definition, daß praktisch
jeder
Artikel unter das Gesetz fallen konnte –, befristet oder für immer verboten und mit einer Strafe zwischen 10   000 und 50   000 Dollar belegt würde.
    Dieses Gesetz, das sogleich mit äußerster Konsequenz angewendet wurde, sollte innerhalb kürzester Frist die Meinungsfreiheit
     ersticken. Die ihrer Einnahmen aus der Werbung beraubten Massenmedien lagen infolge des wirtschaftlichen Niedergangs sowieso
     schon in den letzten Zügen. Besonders die Zeitungen sahen von Tag zu Tag ihre vorwiegend männliche Leserschaft schwinden.
     Und der doppelte Aderlaß einer Beschlagnahme und einer hohen Strafe hätte ein tödliches Risiko für sie bedeutet: sie stellten
     ihr Erscheinen ein oder unterwarfen sich. |68| Von diesem Augenblick an erfreute sich Sarah Bedford einer
    Macht, die zuvor keiner ihrer Vorgänger im Weißen Haus besessen hatte. Denn bislang waren die nahezu diktatorischen Rechte,
     die die Verfassung dem Präsidenten zugesteht, von den Massenmedien, der öffentlichen Meinung und dem Kongreß wirksam eingeschränkt
     worden. Jetzt war der Kongreß nur mehr eine Versammlung von Jasagern. Die von so vielen Toten traumatisierte Öffentlichkeit
     verhielt sich passiv, und die Presse war geknebelt. Zwei Gesetze, das Stellvertretergesetz und das Sicherheitsgesetz, hatten
     genügt, die Demokratie abzuwürgen.
    Höchstwahrscheinlich sind die Verhältnisse in Blueville nichts anderes als eine krassere Form der Tyrannei, die draußen herrscht.
     Und wenn es wirklich an dem ist, könnte man verzweifeln. Denn das bedeutet: Falls die Epidemie eines Tages eingedämmt wird
     oder von selbst aufhört, werden die befreiten PMs in der Außenwelt keine Freiheit mehr vorfinden.
     
    Am Sonntagnachmittag trainiert Dave ausgiebig im Swimmingpool des Schlosses; während dieser Zeit haben Jespersen, Stien und
     ich die Genehmigung, außerhalb der ersten Umzäunung, aber innerhalb der Grenzen der Ranch auszureiten. Obwohl die Pferde zur
     Ranch gehören, dürfen wir sie nicht umsonst reiten, sondern müssen sogar ziemlich viel dafür bezahlen. Nichtsdestoweniger
     ist das ein Privileg, das mich in Erstaunen setzt. Ich vermute, Hilda Helsingforth ist daran gelegen, uns physisch in Form
     zu halten, damit unsere Leistung nicht nachläßt.
    Einziger Nachteil dieser Ausflüge ist, daß uns zwei berittene und bewaffnete Milizionärinnen – es sind immer dieselben – überallhin
     folgen. Seit Frühlingsbeginn tragen sie andere Uniformen: Bis auf die schwarzen Stiefel sind sie von Kopf bis Fuß in Blau
     gekleidet, Gewehr über der Schulter und Revolver am Koppel. Die Gesichter dagegen verändern sich nicht, die Augen bleiben
     eiskalt und die Lippen geschlossen. Eines Tages haben wir ihre Vornamen oder besser gesagt: die Spitznamen, die sie einander
     geben, erfahren. Beide Mädchen sind blond, die größere (groß sind allerdings beide) heißt Jackie und die »kleinere«, die mit
     ihren zu den Schläfen hin abgeschrägten Augen tatsächlich etwas von einer Katze an sich hat, Pussy. |69| Der unverheiratete junge Jespersen und ich, der ich Anita immer seltener sehe, finden beide sehr schön. Nicht einmal ihre
     Uniform ist abschreckend. Vor allem will uns nicht in den Kopf, daß diese jungen, anziehenden Frauen uns völlig feind sein
     sollen, auch wenn unsere Blicke an ihren unerbittlichen Augen abprallen.
    Wen wir zu Pferd die erste Stacheldrahtumzäunung von Blueville passieren, reiten Jackie und Pussy voraus und geben dem weiblichen
     Posten am Fuße des Wachtturms unsere Namen und unsere Erkennungsmarken. Die Wachhabende mustert jeden von uns so aufmerksam,
     als wollte sie sich unsere verhaßten Züge unbedingt einprägen. Dann läßt sie uns durch, indem sie unsere Familiennamen und
     unsere Nummer aufruft: Dr. Jespersen, 235. Prof. Stienemeier, 226. Dr. Martinelli, 472.
    Wie man sieht, vergißt sie weder unsere Titel noch die feinen Unterschiede. Bei der Rückkehr nennt jeder seinen Namen und
     seine Nummer und bekommt beim Passieren seine Erkennungsmarke zurück. Mir fällt jedesmal auf, daß die wachhabende Milizionärin
     es vermeidet, unsere Hände zu berühren.
    Wenn wir den Wachtturm hinter uns gelassen haben, reiten uns Jackie und Pussy nicht mehr voraus,

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