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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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ich reiten voraus.«
    »Okay«, sagt Jackie.
    Pussys Wallach einzufangen ist nicht einfach. Pussy draufzusetzen ebensowenig. Als wir es geschafft haben, bittet mich Stien,
     seinen Hut aufzuheben. »Sie wissen, Ralph, wie schwer es mir fällt, wieder auf diesen Gaul zu steigen, wenn ich abgesessen
     bin.«
    Ich suche den Tirolerhut und finde dabei im Gras Pussys Karabiner, den die Kosakengarde in dem Durcheinander fast vergessen
     hätte. Ich hebe ihn auf und halte ihn lächelnd, mit dem Lauf nach vorn, Jackie hin, die ihn verwirrt entgegennimmt. |76| Ich möchte Pussy zu verstehen geben, daß ich sie vor dem Kriegsgericht bewahre, doch habe ich nicht das Herz dazu. Ihr rechter
     Fuß ist nicht im Steigbügel, der rechte Arm in Magenhöhe angewinkelt, ihre Hand krallt sich in die Uniform. Sie ist sehr blaß,
     und das Schaukeln des Wallachs auf der fünf oder sechs Kilometer langen Strecke wird ihren Zustand nicht gerade lindern.
    »Meinen Hut«, sagt Stien.
    Zerstreut reiche ich ihm den Hut, und plötzlich fängt er an zu toben. Alle außer Pussy, die sich in ihrem Sattel keine Extratouren
     erlauben kann, drehen sich zu ihm um. Stien schwenkt seinen Tirolerhut, in dem zwei Löcher sind: Pussys verirrte Kugel.
    Stien lenkt sein Pferd zu Pussy und zeigt ihr in stummer Wut ihr Werk. Pussy, die alle Mühe hat, nicht in Ohnmacht zu fallen,
     sagt nichts. Ebenso schnell, wie Stien aufgebraust war, fängt er sich und wird ruhig. Dann läßt er Myrta eine halbe Wendung
     machen, kommt an Jackies Seite und sagt unwirsch zu ihr:
    »Ich bin der Meinung, daß wir außer Pussys Sturz, der Spuren hinterlassen hat, und dem versehentlichen Schuß (er betont das
     Wort »versehentlich«) den Zwischenfall verschweigen. Was mich betrifft, werde ich keine Meldung erstatten. Was Sie tun, müssen
     Sie selbst wissen.«
    Ich sehe ihn an. Unter seinen faltigen Lidern blitzt es kurz auf. Ganz offensichtlich hat die Kosakengarde ihre Befugnisse
     überschritten. Und von unserer Seite ist Jess nachweislich im Unrecht. Der alte Stien ist im Begriff, mit dem Feind einen
     Kompromiß zu schließen. Schweigen gegen Schweigen. Er versucht, unsere Ausflüge für die Zukunft zu retten und die Milizionärinnen
     in eine stillschweigende Komplizenschaft hineinzuziehen.
    Die Mädchen schweigen. Die eine, weil sie Schmerzen hat, die andere, weil sie völlig durcheinander ist, wie ich annehme. Doch
     einige Wochen später sollte ich meine Meinung über Jackie ändern.

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    |77| VIERTES KAPITEL
    Großes Durcheinander in der Sanitätsstelle des Schlosses. Dr. Rilke, den die PM wegen seiner Affenähnlichkeit Dr. Hyde nennen,
     ist nicht da, der Pfleger ebenfalls nicht. Beide sind A.s und irgendwo in den Vereinigten Staaten zu Besuch bei ihren Familien.
     Die Ankunft Pussys, die von Jespersen und mir getragen wird, stürzt den Verwalter, Dr. Barrow, in Verlegenheit, ich möchte
     sogar sagen: in Angst.
    Er ist ein stattlicher, breitschultriger Mann, dessen Größe und Schulterbreite jedoch kraftlos wirken. Er ist schlaff, dickbäuchig.
     Sein Teint ist fettig, er hat Knopfaugen und schwammige Hände. Sein knieweicher Gang erweckt den Anschein, als ob er wie ein
     Ball vom Boden zurückprallt. Auf seinem völlig kahlen Schädel glänzt der Schweiß. Und ich bin sicher, seine äußere Erscheinung
     hat nichts mit der Kastrationsweihe zu tun, der er sich unterzogen hat; ich habe an der Wand seines Büros ein Jugendfoto von
     ihm gesehen, auf dem er ein zusammengerolltes Universitätsdiplom an seine Brust preßt: er war schon immer so.
    Übrigens sollte man sich in Mr. Barrow nicht täuschen: Er steckt voll undankbarer Eigenschaften. Er ist ein guter Verwalter,
     ein eifriger Bürokrat. Seine Unterwürfigkeit gegenüber Hilda Helsingforth setzt mich in Erstaunen. Wenn er mit ihr telefoniert,
     habe ich immer den Eindruck, er wird sich wie ein Bettvorleger zu ihren Füßen ausbreiten. Doch unter diesem schmierigen Äußeren
     verbirgt sich eine inhumane, besser gesagt: antihumane Härte. Ein molluskenhafter Roboter. Aber der Kern ist aus Metall.
    Für mich ist die Situation klar. Da Dr. Rilke nicht da ist und die nächstgelegene Stadt zweihundert Kilometer entfernt, der
     Arm aber so schnell wie möglich eingerenkt werden muß, will ich das selbst mit Hilfe von Mrs. Barrow übernehmen, die vorher
     Röntgenaufnahmen vom Ellbogen machen soll. Ich weiß, sie ist die Röntgenassistentin von Dr. Rilke.
    |78| Aber was sage ich da! Es ist nicht einmal die Rede

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