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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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|80| vierzig Jahre nähert. Eher klein, doch wohlproportioniert und kräftig, steht sie mit beiden Beinen fest auf der Erde, und
     ihr runder Kopf ruht sicher auf ihren derben Schultern. Sie hat kurzes, braunes Haar, ein gesundes Gebiß und lebhafte, blitzende
     Augen. Ihre Gesundheit, ihre Ausgeglichenheit und ihr Realismus wirken überaus beruhigend. Schon auf den ersten Blick bin
     ich mir sicher, daß ihr Herz es auf hundert Jahre bringen kann, daß sie eine gute Verdauung und regelmäßigen Stuhlgang hat,
     daß sie keine Schlafmittel nimmt und die Eierstöcke ihr nicht zu schaffen machen. Ich kann mich dafür verbürgen, daß sie Komplexe,
     Neurosen und Ängste nicht kennt und daß sie fröhlich, aktiv und selbstlos ihren geradlinigen Weg durchs Leben geht, an der
     Seite dieses schmierigen und bürokratischen Scheusals, das sie womöglich sogar liebt, wer weiß?
    Pussy trug unter der Uniform ein Wollhemd ohne Kragen, dessen Ärmel sich nicht hochkrempeln lassen. Ich helfe Mrs. Barrow,
     es ihr auszuziehen. Eine Brust wird sichtbar, die keinen BH braucht; und während Mrs. Barrow den Röntgenapparat heranrollt,
     vertiefe ich mich in den Anblick, ohne eine Regung zu zeigen, die Augen beharrlich gesenkt.
    Ich spüre jemand hinter meinem Rücken. Ich drehe mich um. Es ist Mr. Barrow, und ich fühle eine absurde Reaktion: Ich bin
     eifersüchtig.
    »Mr. Barrow, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie keinerlei Befugnis haben, bei einer ärztlichen Untersuchung anwesend
     zu sein«, sage ich, nicht gerade freundlich.
    »Ich bin hier in Befolgung meiner Instruktionen«, sagt Mr. Barrow, der aus meinen Worten nur den Hinweis auf die Vorschriften
     herausgehört hat und sie unter dem gleichen Blickwinkel zurückweist.
    Ich zucke die Achseln und sage barsch: »Das ist ziemlich belanglos.«
    Es sollte giftig klingen, doch so etwas kommt bei Mr. Barrow nicht an, denn er antwortet plump: »Aber im Gegenteil, es ist
     sehr wichtig«, während ich auf Mrs. Barrows Lippen ein flüchtiges Lächeln zu sehen glaube.
    Die Röntgenaufnahmen beruhigen mich. Der Knochen ist weder gebrochen noch gesplittert. Eine einfache Verrenkung: der Oberarmknochen
     ist nicht einmal völlig aus der Gelenkpfanne |81| herausgesprungen. Ich renke ihn wieder ein. Da ereignen sich kurz nacheinander drei Dinge. Pussy schreit auf und fällt fast
     in Ohnmacht. Mr. Barrow verläßt die Sanitätsstelle, weil er ans Telefon gerufen wird und Mrs. Barrow, die mir gegenübersitzt,
     hebt den Kopf, sieht mir ins Gesicht und lächelt mir zu.
    Was diesen Blick und dieses Lächeln betrifft, möchte ich Mißverständnisse vermeiden. Sie sind nicht herausfordernd, wenn sie
     auch jenen beachtlichen Grad erotischer Spannung enthalten, der auf fast unschuldige Art und Weise in den gesellschaftlichen
     Beziehungen zwischen Mann und Frau mitschwingt, ohne Hintergedanken, oder besser gesagt: ohne daß die verborgenen Gedanken
     sich zeigen und sich in eine bestimmte Absicht verwandeln. Mrs. Barrow sieht mich an und lächelt mit Sympathie und Wärme,
     wie eine Mitverschworene. Überwältigt von einem so völlig unerwarteten Geschenk, gebe ich ihr Lächeln und Blick mit aufwallender
     Zärtlichkeit zurück, wofür sie mir mit einem fast unmerklichen Blinzeln und einer Bewegung des Kopfes dankt.
    Das alles hat kaum den Bruchteil einer Sekunde gedauert. Als Pussy zu sich kommt, ist es vorbei. Mrs. Barrow ist wieder wie
     aus Stein und Pussy aus Beton, denn sie hat weder eine Antwort noch Dank noch einen Blick für mich, nachdem ich ihren Knöchel
     massiert und verbunden und ihr baldige Genesung gewünscht habe. Möglicherweise ist Pussy klargeworden, daß ich schuld an ihrem
     Sturz bin.
    Als ich die Schloßtreppe hinuntergehe und an Mrs. Barrows Lächeln zurückdenke, möchte ich am liebsten »drei kleine Sprünge
     machen, um meine Freude auszudrücken«, wie Chrétien in der
Pilgerreise.
    Innerhalb des PM-Milieus in Blueville hatte ich bis dahin zwar durchaus normale Beziehungen zu den Frauen meiner Kollegen,
     dennoch spürte ich, wie niedrig mein sozialer Status im Gegensatz zum beruflichen war. Heute bin ich aus meinem Ghetto herausgetreten.
     Gewiß, es wird sich dadurch nichts ändern, das ist nur ein kurzer Lichtblick. Ich habe nicht die geringste Absicht und nicht
     die geringste Chance, zwischen Mrs. Barrow und mir eine Brücke zu schlagen. Ihre heimliche Botschaft ist für mich jedoch von
     unschätzbarem Wert, ich werde daran stets mit Rührung

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